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Archiv-Artikel

Butter bei die faulen Fische

Die taz ist dem Diebstahl geistigen Eigentums nachgegangen. Nun berät der Deutsche Presserat über den Wahrheit-Artikel

Der Deutsche Presserat ist oberster Hüter der Ethik im Journalismus. „Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse“, heißt es in Ziffer eins des Pressekodexes. Wer dagegen verstößt, kann sogar öffentlich gerügt werden. Wie zuletzt beispielsweise die Bild-Zeitung, die bei der Berichterstattung über den Suizid eines Ingenieurs die gebotene Zurückhaltung vermissen ließ. Der Bild-Artikel enthielt Angaben wie den Vornamen, den abgekürzten Nachnamen sowie Alter und Arbeitsstätte des Toten.

Der Beschwerdeausschuss des Selbstkontrollorgans der Printmedien tritt am kommenden Mittwoch, 18. Februar, erneut zusammen – und muss sich diesmal mit der Wahrheit in der taz befassen. Denn der in Dortmund lehrende Statistikprofessor Walter Krämer hat gegen einen taz-Artikel vom 26. Oktober 2002 („Im Eintopf faule Fische“) Beschwerde eingelegt, der sich mit einem von ihm und seiner Tochter Eva Krämer herausgegebenen Buch beschäftigte: „Lexikon der Städtebeschimpfungen. Boshafte Berichte und Schmähungen von Aachen und Zürich“.

Wahrheit-Redakteur Michael Ringel behauptet, Familie Krämer habe eins zu eins aus dem 1998 im Reclam-Verlag erschienenen Werk „Öde Orte. Ausgesuchte Stadtkritiken: von Aachen bis Zwickau“ zitiert und „33 kurze und längere Städtebeschimpfungen aus der Vorlage“ schlicht übernommen – ohne die Autoren und den Verlag gefragt zu haben und ohne das Werk auch nur einmal als Quelle zu nennen. Ebenfalls ungefragt wurden Zitate aus Büchern der Verlage Hoffmann & Campe sowie Suhrkamp verwendet.

Befremdet hat Ringel auch, dass zahllose kleinere und größere Zitate von freien Autoren übernommen oder aus Zeitungen und Zeitschriften und dem Internet abgeschrieben wurden. Bis auf eine Autoren- und Jahresangabe gibt es keinen Quellenverweis unter den Zitaten. Auch ein Text aus der taz wurde ungefragt in das „Lexikon“ übernommen. Insgesamt strotzt das „Lexikon“ von Fehlern, so sind Namen oder biografische Angaben an vielen Stellen unkorrekt wiedergegeben. Ringel pocht darauf, dass es sich bei dem Werk nicht um ein „Lexikon“, sondern allenfalls um eine Anthologie handelt. Die auf dem Buchumschlag angegebenen Autoren Walter und Eva Krämer seien nach dem Verlagsrechts gar keine Autoren, sondern Herausgeber, was durch den Zusatz „(Hrsg.)“ hätte kenntlich gemacht werden müssen. Ringels Urteil: „Wenn ein Wirtschafts- und Sozialstatistiker sich auf das literarische Feld der Polemik begibt, mag man nicht viel erwarten, eigene Beiträge hat das Autorenpaar bis auf das lieblose Vorwort nicht verfasst.“

Ein Urteil, das den Eichborn Verlag dazu brachte, schnell zuzugeben, einen kapitalen Fehler gemacht zu haben. Zumal mittlerweile auch die Herausgeber und Autoren des Buches „Öde Orte“ bei Eichborn gegen die Verletzung ihrer Rechte protestiert hatten und ein Honorar forderten. Der Eichborn Verlag, der das Buch auflegte, ließ den circa 30 Autoren von „Öde Orte“ prompt ein Honorar zukommen und einigte sich mit den geschädigten Verlagen Reclam, Hoffmann & Campe sowie Suhrkamp. Auch die taz erhielt von Eichborn ein Honorar plus Verletzerzuschlag. In einem Brief an den Reclam-Verlag erklärt Eichborn: „Wir werden keine weiteren Auflagen des Buches drucken.“

Krämer & Krämer teilen die Einsicht ihres Verlages Eichborn nicht. Im Gegenteil: Nicht nur der Deutsche Presserat, sondern auch das Berliner Landgericht ist inzwischen mit dem Fall befasst. Das Krämer-Duo erwirkte mittels einstweiliger Verfügung eine Unterlassungserklärung gegen die taz. Krämer will vor allem die Behauptung nicht mehr verbreitet sehen, sein Lexikon sei ein „astreines Plagiat“. Die taz legte verständlicherweise Widerspruch ein – der Streitwert des Prozesses vor dem Berliner Landgericht liegt bei immerhin 9.000 Euro.

Doch zunächst tagt der Beschwerdeausschuss des Presserats. Der Dortmunder Professor beklagt sich bitterlich: „Hier liegt ein (!) an Bosheit und üblem Willen kaum zu überbietende Schmähschrift vor“, wettert Krämer und bezeichnet die Rezension schließlich als „Exkrement“. Nicht das „Lexikon“ sei das Ziel der Kritik, sondern seine „wirtschaftsliberale Grundhaltung“ sei der taz „seit jeher ein Dorn im Auge“, so Krämer.

Die taz erklärte daraufhin in einer Stellungnahme zu dem Fall: „Der Vorwurf des geistigen Diebstahls besteht zu Recht. Auslöser des Artikels war das Interesse, freie Autoren vor dem Diebstahl ihres geistigen Eigentums zu schützen sowie nachzuweisen, in welcher Form heutzutage manche Herausgeber und Verlage Rechte verletzen.“