: Kohlosaurus kommt
Die Anti-Kohle-Tour erreicht den Norden. Die Aktionen begannen in Brunsbüttel, wo drei Kohlekraftwerke entstehen sollen. Der spanische Investor Iberdrola hat unterdessen seinen Ausstieg aus dem dortigen Südweststrom-Meiler angekündigt
VON SVEN-MICHAEL VEIT
Für Arne Firjahn ist die Diagnose klar: „Dieser Irrsinn muss gestoppt werden“, sagt der Sprecher der „Bürgerinitiative für Gesundheit und Klimaschutz Unterelbe“ am Freitagnachmittag auf dem Rathausplatz von Brunsbüttel. Drei Kohlekraftwerke sind in der Planung in dem Städtchen am Südende des Nord-Ostsee-Kanals. Deshalb hat die bundesweite Anti-Kohle-Tour des Kampagnen-Netzwerks Campact gestern hier Station gemacht.
An sieben Orten in Deutschland hat das Bündnis von mehr als 100 Umweltschutzgruppen in diesem Monat bereits gegen neue Kohlekraftwerke protestiert. Jetzt hat der Tross mit dem fünf Meter großen Dinosaurier „Kohlosaurus“ den Norden erreicht. Nach Brunsbüttel folgen Aktionen heute in Stade, am Sonntag im emsländischen Dörpen und zum Abschluss am Mittwoch in Schwerin. „Diese Tour gibt der Anti-Kohle-Bewegung ein Gesicht“, frohlockt Christoph Bautz von Campact.
Und es gibt auch Erfolge zu berichten, so den Ausstieg des spanischen Energieversorgers Iberdrola aus einem Kraftwerksprojekt in Brunsbüttel. „Wachsende Zweifel an der Wirtschaftlichkeit neuer Kohlekraftwerke“ hätten Europas drittgrößten Stromkonzern zu diesem Schritt veranlasst, glaubt Firjahn zu wissen. 51 Prozent hatten die Spanier an dem Meiler der Tübinger Südweststrom halten wollen.
Der Ausstieg habe, hofft Firjahn nun, „Signalwirkung für anderen Kommunen und Konzerne“. Doch Bettina Morlok dämpft diese Hoffnungen. „Wir sind in Verhandlungen mit einem anderen Interessenten aus Europa“, so die Geschäftsführerin von Südweststrom auf Anfrage der taz nord. Sie gehe von einer Vertragsunterzeichnung „noch im November“ aus.
Mit 13 Kohlemeilern soll der Norden in den nächsten Jahren zum Kohlekraftrevier Deutschlands werden. Bereits genehmigt wurde am 30. September das Vattenfall-Werk in Hamburg-Moorburg, mit 1.654 Megawatt (MW) das derzeit größte der Republik. Noch größer sollen mit jeweils 1.800 MW zwei Anlagen werden: die des dänischen Konzerns Dong in Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern und die von Südweststrom in Brunsbüttel.
Dort sind noch zwei weitere Anlagen anderer Energiekonzerne geplant, ebenso sollen im niedersächsischen Stade drei Kohlekraftwerke errichtet werden. Zwei kleinere Kohlemeiler in Wilhelmshaven sind vorgesehen sowie drei weitere in Kiel, Emden und Dörpen.
Als zusätzliche Unterstützung werten Umweltorganisationen die „Leitstudie 2008“ zur Energieversorgung des Bundesumweltministeriums. Wie Greenpeace am Freitag mitteilte, habe das Ministerium dieses Gutachten des Energieexperten Joachim Nitsch „stillschweigend“ auf seine Homepage gestellt, anstatt es, wie sonst üblich, auf einer Pressekonferenz vorzustellen.
Der Grund für diese Zurückhaltung sei einfach: „Das Gutachten bestätigt Untersuchungen von Greenpeace, nach denen die Klimaschutzziele der Bundesregierung nur noch dann erreicht werden können, wenn keine weiteren Kohlekraftwerke mehr gebaut werden“, sagt Andree Böhling, Energieexperte von Greenpeace. Damit werde SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel „von seinen eigenen Gutachtern Lügen gestraft“.
Derweil kritisiert die Bürgerinitiative Saubere Energie Dörpen, dass die dortige Gemeindeverwaltung ein Gutachten zum dort geplanten Kraftwerk unter Verschluss halte. Außerdem sei der Bürgerinitiative untersagt worden, auf den Straßen für den Anti-Kohle-Termin am Sonntag zu werben. Der offiziell angegebene Grund: Die Feststimmung auf der Dörperner Kirmes solle nicht getrübt werden.
wirtschaft und umwelt SEITE 8 Anti-Kohle-Tour: Sonnabend, 18. 10., Stade, Pferdemarkt, 11 Uhr; Sonntag, 19. 10., Dörpen, Am Rathaus, 15 Uhr