: Hilfe für Opfer Francos
Spanischer Richter Garzón will Massenerschießungen während des Bürgerkriegs und der Diktatur aufarbeiten
MADRID taz ■ Spaniens Starrichter Baltasar Garzón wagt sich an ein heikles Thema. Der durch die Ermittlungen gegen den chilenischen Diktator Augusto Pinochet bekannt gewordene Richter am obersten spanischen Strafgerichtshof, der Audiencia Nacional, will die Verantwortlichen für die Massenerschießungen im spanischen Bürgerkrieg (1936 bis 1939) und in den ersten Jahren der Diktatur von General Francisco Franco zur Rechenschaft ziehen. Garzón erklärte sich damit zuständig für ein Verfahren, das von verschiedenen spanischen Verbänden der Opfer der Diktatur beantragt wurde.
Insgesamt seien bis 1952, so die Zahlen des Richters, 114.266 Menschen verschwunden. Es handle sich um „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Der Staat könne jedoch seine eigenen Verbrechen nicht ungeschehen machen, erklärte der Richter. Damit fallen für ihn die Verbrechen der Diktatur auch nicht mehr unter die 1977, zwei Jahre nach dem Tod Francos, erlassene Amnestie.
Richter Garzón ordnet die Öffnung von 19 Massengräbern an. In einem von ihnen befinden sich die sterblichen Überreste des zu Beginn des Bürgerkriegs erschossenen spanischen Nationaldichters Federico García Lorca.
„Es geht nicht nur um Erfolg oder Misserfolg, es ist eine Art der institutionellen Rehabilitierung gegen das Schweigen, dass bis heute über das Geschehen ausgebreitet wurde“, verteidigt Garzón das Verfahren.
Verantwortliche für die politischen Säuberungen wird er wohl kaum noch finden. Denn die Generäle, die einst mit ihrem Putsch gegen die Demokratie den Bürgerkrieg auslösten, sind – wie Diktator Franco selbst – längst verstorben.
Sehr zur Überraschung der Opferverbände legt die Staatsanwaltschaft, die der Regierung des Sozialisten José Luis Rodríguez Zapatero untersteht, Widerspruch ein. Garzón sei für die Ermittlungen gar nicht zuständig. Denn es seien keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit, weshalb sie nicht in den Zuständigkeitsbereich der Audiencia Nacional fielen. Wenn überhaupt ermittelt werde, müssten dies die regionalen Amtsgerichte tun. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits vor Monaten die Verbrechen für verjährt erklärt.
Während Opferverbände und Politiker der Linken das Verfahren begrüßen, kritisiert Spaniens Rechte den Beschluss Garzóns. „Das ist großer Unsinn. Schließlich gab es eine Amnestie“, erklärt der Mitbegründer der konservativen Volkspartei Manuel Fraga. Der 85-Jährige war einst Innenminister in den letzten Jahren der Diktatur.
Auch unter den Angehörigen löst die Entscheidung, die Gräber zu öffnen, Diskussionen aus. Vor allem im Falle des Massengrabs unweit von Granada, in dem der Dichter García Lorca und drei weitere standrechtlich Erschossene liegen. „Ich warte seit zehn Jahre auf diesen Tag“, begrüßt Nieves García die Initiative des Gerichts. Sie ist die Enkelin eines zusammen mit García Lorca ermordeten Lehrers. Die Angehörigen von García Lorca jedoch wollen das Grab nicht öffnen. Seit Jahren befindet sich eine Gedenkstätte an dem Ort, an dem die vier erschossen und verscharrt wurden. Das Grab jetzt zu öffnen, sei eine „Schändung“, beschwert sich ein Sprecher der Familie. REINER WANDLER
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