: „Mädchen geben mehr den Ton an“
Mädchengewalt hat im vergangenen Jahr stark zugenommen. Alte Rollenbilder sind passé, erklärt die Jugendbeauftragte der Kripo, Christine Burck. Einen neuen Trend kann sie aber noch nicht erkennen
Interview PLUTONIA PLARRE
taz: Frau Burck, wenn über Jugendkriminalität, insbesondere über Gewalt, geredet wird, geht es fast immer um Jungen. Was ist eigentlich mit den Mädchen?
Christine Burck: Die Kriminalität junger Mädchen besteht hauptsächlich aus Eigentumsdelikten, vor allem Ladendiebstahl. Gewalt ist ein typisches Jungendelikt, aber es gibt durchaus auch Mädchen, die davor nicht zurückschrecken.
In letzter Zeit hat es einige Aufsehen erregende Fälle gegeben: Drei Mädchen raubten Taxifahrer aus. Eine Gruppe 18-Jähriger lieferte sich auf der Damentoilette einer Diskothek eine Messerstecherei. Nehmen solche Taten zu?
Auf den ersten Blick mag das so aussehen. 2002 waren 559 tatverdächtige Mädchen an Jugendgruppengewaltdelikten beteiligt, im Jahr davor waren es 394. Trotzdem kann man hier nicht von einem zunehmenden Trend sprechen. Mädchengewalt entwickelt sich in wellenförmigen Bewegungen. Mitte der 90er-Jahre lag die Beteiligung von Mädchen an Gewaltdelikten, bezogen auf die Gesamtzahl von Gewaltdelikten, bei etwas über 10 Prozent. 2001 ist der Anteil auf 7,1 Prozent zurückgegangen und 2002 wieder auf etwa 9 Prozent gestiegen.
Warum werden Mädchen gewalttätig?
In der Regel haben die Täterinnen eine Vorbeziehung zum Opfer. Der Angriff erfolgt nach dem Motto: Die hat meinen Freund schräg angeguckt, die hat’s verdient, die is ’ne olle Hure. Manchmal kommt verschärfend hinzu, dass das Opfer ein tolles Handy hat. Das wird ihm weggenommen, und gleichzeitig wird auch noch die Handtasche nach Schminksachen durchsucht.
Sind Mädchen genauso brutal wie Jungen?
In Sachen Brutalität stehen sie den Jungen wenig nach. Sie schlagen und treten auch feste drauf, wenngleich sie vielleicht nicht ganz so häufig bewaffnet sind. Mädchen demütigen ihre Opfer auch gern: Haare ziehen, Füße küssen lassen, zum Ausziehen zwingen.
Werden Mädchen auch zusammen mit Jungen aktiv?
Früher waren die Mädchen eher Anhängsel von Jungengruppen. In der Skinheadszene wurden sie schlechtestenfalls Matratzen genannt. Heute haben Mädchen entweder eigene Gruppen oder geben in den gemischten Gruppen mit den Ton an. Das liegt sicher daran, dass Mädchen insgesamt sehr viel selbstständiger geworden sind und die devote Frauenrolle nicht mehr so einfach akzepierten.
Handelt es sich bei den gewaltbereiten Mädchen ähnlich wie bei den Jungen zunehmend um Migrantenkinder?
Nicht alle Mädchen türkischer Herkunft sind friedlich, aber mit dem Anstieg im männlichen Bereich ist das in keinster Weise vergleichbar. Mädchen sind wesentlich mehr in ihre kulturellen Zwänge eingebunden.
Wie reagieren Mädchen auf den Kontakt mit Polizei und Justiz?
Mädchen hören früher auf als Jungen. Meist ist spätestens mit 18 Schluss, weil sie dann feste Beziehungen eingehen. Auch durch gerichtliche Sanktionen und Erziehungsmaßnahmen lassen sich junge Frauen eher beeindrucken als das männliche Geschlecht.
Finden Sie, dass jugendliche Täter von den Gerichten möglichst früh einen Schuss vor den Bug bekommen sollten?
Ich bin Vertreterin einer differenzierten Linie, die sich auch an der Vorgeschichte des Jugendlichen orientiert. Jugendliche Straftäter haben schon selbst zu mir gesagt, es hätte ihnen nicht geschadet, wenn sie früher in den Knast gekommen wären.
Wie lautet Ihre Forderung an die Politik?
Die U-Haft-Vermeidung – eine Unterbringung mit intensiver päddagogischer Betreuung – müsste wieder sehr viel mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. In den 90er-Jahren gab es noch 24 Plätze, jetzt sind es nur noch 8. Und an die Adresse der Jugendverwaltung geht, auf keinen Fall weitere Jugendhilfeprojekte zu streichen und außerdem die ambulanten Maßnahmen auszuweiten. Gerade die jungen Mehrfachtäter, die sich mit Straftaten durchs Leben zu bringen versuchen, haben große Defizite im schulischen Bereich und Elternhaus. Das kann nicht durch die Polizei und die Justiz aufgefangen werden
Haben Sie das Gefühl, die rot-rote Landesregierung ist sich des Problems bewusst?
Bei allen Äußerungen der Senatoren, die ich zu diesem Thema gehört habe – und ich mache die Arbeit hier schon seit 14 Jahren –, hatte ich das Gefühl, dass sie das Problem sehr ernst nehmen. An der Umsetzung sehe ich das allerdings nicht. Wenn der Finanzsenator sagt, es gibt kein Geld, gibt es kein Geld.