Poetologie des Scheiterns

Schreibmaschine, Tonbandgerät und Drogenkoffer als Insignien des Cool: Am Theater Erlangen inszeniert Eike Hannemann ein Kammerspiel der Monologe nach Bernward Vespers Roman „Die Reise“. Allerdings inszeniert er sie mit etwas zu viel Nostalgie für die Geschichte der 68er

Der Dichter sitzt vorne auf der Bühne, thront auf einer dreieckigen Burg im Spielzeugformat über einem großen Flokatiteppich und diktiert seinen Roman in einen Kassettenrekorder. Zwei Alter Egos unterbrechen ihn laufend und zwingen ihn, zu wiederholen. Ab und an wechseln sie sich ab, fügen aus dem Wirrwarr unsortierter Monologschnipsel eine Geschichte zusammen. Bereits nach wenigen Minuten steht in großen Kreidebuchstaben „Baader = Kaka“ hinter ihnen auf der Wand, die exkrementöse Gleichung mit der Bernward Vesper seine Ablehnung für Andreas Baader ausdrückt. Genau jener „Andi“, der das Scheitern der Studentenbewegung durch ihre gewaltvolle Radikalisierung zementieren wird. Jener Kerl, der ihm „sein Mädchen“ ausgespannt hat. „I’ve lost my girl“, sagt Vesper zu Burton, einem amerikanischen Maler, dem er auf seinem Trip durch Europa und Drogenrausch begegnet.

In seinem autobiografischen Roman „Die Reise“, den er nie vollendete, berichtet Bernward Vesper vor allem auch von seinen geistigen Erkundungen, die er mit Hilfe von LSD zum Bestandteil seines schriftstellerischen Schaffens machte. Als Sohn des populären NS-Dichters Will Vesper haderte er mit seinen Kindheitserinnerungen an das Gut in der niedersächsischen Provinz, auf dem er aufwuchs, und der Beziehung zu seinem Vater.

Seine Gedanken kreisen immer wieder um das gemeinsame Kind mit Gudrun Ensslin, die ihn für Andreas Baader verließ, ihre Briefe aus der Haft, die Besuche in der Kommune 1 und die Erinnerungen an Rudi Dutschke. Alles zieht in einem losen Gedankenstrom vorbei. Vespers Reflexionen zur Studentenbewegung und seiner eigenen Geschichte fügen sich zusammen in eine Poetologie des Scheiterns, die durch die persönliche Kapitulation des Dichters ihren Abschluss fand. Mit einer Überdosis Schlaftabletten nahm sich Vesper 1971 in einer psychiatrischen Klinik bei Hamburg das Leben.

Der Autor und Regisseur Marc Pommerening, Jahrgang 1970, hat den Roman „Die Reise“ am Theater Erlangen dramatisiert und findet darin eine überaus geeignete Grundlage, um den gesellschaftlichen Diskurs über die RAF und die 68er auf die Bühne zu bringen. Vesper kannte nicht nur alle wichtigen Leute, sondern besaß auch die Aufrichtigkeit, sich mit den Zielen und vor allem den angewandten Mitteln auseinanderzusetzen. In der Tat ist der Text weit mehr als nur eine Darstellung, vielmehr der Versuch einer nach wie vor aktuellen Auseinandersetzung mit der Bewegung, der der Autor sich verbunden fühlte, bis sie alles menschliche Leben in Uniform für unwert erklärte.

Eike Hannemann inszeniert die Uraufführung von Pommerenings Textfassung als eine Aufeinanderfolge von künstlerischer Reflexion, ekstatischer Verausgabung und finaler Selbstaufgabe. Jim Morrison intoniert inbrünstig sein „Riders on the storm“, während er vom nostalgisch anmutenden Geklacker der Schreibmaschinen als Percussion begleitet wird. Die drei Vesper-Gestalten hauen in die Tasten und versuchen die Geschichte eines 31-jährigen Lebens im Rhythmus zu den Doors zu Papier zu bringen. Im knalligen Licht der Fear-and-Loathing-Psychedelic werfen sie ihre Trips ein und drehen sich um ihre kleine Sonne, den Sohn Felix, während sie doch eigentlich nur um sich selber kreisen.

Eindringlich stellt Daniel Wagner die Erinnerungen Vespers an einen Aufenthalt in einem palästinensischem Ausbildungscamp dar. Der Schal, den er sich zuerst um den Kopf geschlungen hat und dann stolz wie einen Fußball-Fanschal in die Höhe reckt, ist kein Palästinensertuch, wie man zuerst denken könnte. Er wird geziert von zwei AK-47-Gewehren und ist ein Accessoire der Modemarke Diesel, ein Musthave für junge Modeterroristen mit dem Hang zur geschichtlichen Provokation: die RAF, um sie sich um den Hals zu wickeln.

Dabei neigt der Abend selbst stellenweise dazu, ins romantisierende Design abzudriften. Schreibmaschine, Tonbandgerät und Drogenkoffer werden zu Insignien des Cool. Die anfängliche Distanz bröckelt und weicht nostalgischer Begeisterungsfähigkeit. Wenn das unsere Haltung im aktuellen Diskurs über das Erbe der 68er ist, sollten wir uns selbst wieder auf die Reise schicken, auf einen selbstreflexiven Trip zur Standortbestimmung.

FLORIAN PLUMEYER