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Archiv-Artikel

Offenen Auges in die Eskalation

Nordkorea und die USA versuchen mit immer neuen Drohungen, sich gegenseitig in die Schranken zu weisen. Jetzt reagiert Pjöngjang auf Washingtoner Gedankenspiele zu Sanktionen mit der Drohung, den Waffenstillstand von 1953 zu kündigen

aus Peking JUTTA LIETSCH

Der Konflikt um Nordkoreas mutmaßliches Atomwaffenprogramm eskaliert von Tag zu Tag. Eine Lösung ist nicht in Sicht. So hat die Regierung in Pjöngjang gestern gedroht, den Waffenstillstand aufzukündigen, mit dem der Koreakrieg 1953 endete. Begründung: Der frühere Kriegsgegner USA verstärke seine Truppen und plane eine Seeblockade Nordkoreas. „Wenn die USA das Waffenstillstandsabkommen weiterhin nach Gutdünken verletzen und missbrauchen, dann besteht auch keine Notwendigkeit für Nordkorea, sich an das Abkommen gebunden zu fühlen“, zitierte die amtliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA einen Armeesprecher. „Die Zukunft hängt allein von der Haltung der USA ab.“

Diese Warnung folgt auf Berichte aus Washington, nach denen Präsident George W. Bush derzeit über Sanktionen nachdenkt, um Nordkorea zur Aufgabe seines Atomwaffenprogramms zu zwingen. So könnte Washington mit einer Seeblockade lebenswichtige Einnahmen des bankrotten Landes stoppen und zum Beispiel nordkoreanische Schiffe mit Waffenexporten abfangen. Ebenso könnte die US-Marine angebliche Fischerboote aufbringen, mit denen Nordkorea Ecstasy und andere Drogen aus seinen Labors nach Japan schmuggelt. Außerdem sei geplant, Geldüberweisungen der koreanischen Minderheit in Japan an Nordkorea zu stoppen, berichtete die New York Times am Montag, was aber in Tokio nicht bestätigt wurde.

Falls Nordkorea wie befürchtet Atomwaffen baut und bald wieder Langstreckenraketen testet, die womöglich Hawaii und Alaska erreichten, seien noch „schärfere“ US-Maßnahmen denkbar, heißt es. Die US-Armee haben mittlerweile ihre Kriegsbereitschaft gegenüber Nordkorea verstärkt. Zwölf B-52- und ebenso viele B-1-Bomber stehen auf Abruf nach Ostasien, wo die 90.000 US-Soldaten in Südkorea und Japan bereits seit Wochen in Alarmbereitschaft sind.

Die meisten Beobachter glauben nach wie vor, dass der „Liebe Führer“ Kim Jong Il mit seinen Drohungen vor allem die USA zu direkten Gesprächen zwingen will, um einen Nichtangriffspakt und die diplomatische Anerkennung zu erreichen und so das Überleben seines Regimes zu sichern. Doch die USA denken bisher nicht daran. Sie verlangen, Pjöngjang müsse zuerst sein Atomprogramm stoppen und internationale Inspektoren ins Land lassen. Erst danach wollen die Amerikaner verhandeln.

Die Situation ist verfahren, die Zeit läuft davon. Die Furcht in Pjöngjang vor einem US-Angriff – womöglich kurz nach der Bombardierung Bagdads – sitzt tief. Zugleich wächst die Angst vor Einkreisung. Doch auch Südkoreas Nochpräsident und Friedensnobelpreisträger Kim Dae Jung warnte kürzlich: „Wenn Nordkorea Atomwaffen bekommt, würde sich auch die Haltung Japans und meines Landes gegenüber Atomwaffen verändern.“ Der Rüstungswettlauf hat begonnen. Tokio plant bereits neue Raketensysteme mit den USA – zum Entsetzen Chinas.