Thailands tödliche Drogenrazzien

Fast 600 getötete mutmaßliche Drogenhändler in knapp drei Wochen: Die Polizei spricht von Bandenkriegen aus Angst vor Verrat, Menschenrechtsorganisationen befürchten extralegale Hinrichtungen. Rechtsstaatliche Aufklärung ist nicht in Sicht

aus Bangkok NICOLA GLASS

Es ist ein extrem ehrgeiziges Ziel: Thailands seit Anfang 2001 amtierender Premier Thaksin Shinawatra will sein Land in nur drei Monaten „drogenfrei“ machen. Deshalb lässt er seit dem 1. Februar in landesweiten Razzien den Drogenhandel bekämpfen. Das bisherige Ergebnis: Fast 600 Tote, über 15.000 Inhaftierte. Nach Angaben des Innenministeriums sind fast alle Todesopfer Mitglieder von Rauschgiftkartellen. Und Polizei-Generalmajor Pongsapat Pongcharoen sagte am Montag, höchstens 15 Verdächtige seien von der Polizei erschossen worden, weil sie sich einer Festnahme widersetzten. Alle anderen Opfer gingen auf das Konto einander bekämpfender Rauschgiftbanden, deren Mitglieder sich aus Angst vor Verrat gegenseitig umgebracht hätten.

Thailands Menschenrechtsbeauftragter Pradit Charoenthai- thawee fürchtet hingegen, dass ein sehr hoher Prozentsatz der Getöteten von der Polizei in Selbstjustiz erschossen wurde. Und niemand wisse, ob und wie viele Unschuldige dabei möglicherweise getötet wurden.

Das wird wahrscheinlich auch nie geklärt. Denn Pornthip Rojanasunam vom Bangkoker Institut für forensische Wissenschaften, die für die Aufklärung gewaltsamer Todesfälle zuständig ist, registriert mit Befremden, dass sie seit Monatsbeginn mit keinem ungeklärten Fall mehr konfrontiert wurde. Vor dem 1. Februar seien es dagegen in der Regel ein bis zwei Fälle täglich gewesen, sagte sie der Bangkok Post.

Der populistische Ministerpräsident Thaksin räumt inzwischen sogar ein, dass auch zahlreiche Regierungsmitarbeiter in den Drogenhandel verstrickt sind. Nach einem vorläufigen Bericht des Innenministeriums sollen rund 700 Verdächtige aus Polizei und Armee, aus verschiedenen Ministerien und aus den Provinzverwaltungen stammen. Einige sollen bereits entlassen sein, mehrere Polizeioffiziere, die Untersuchungen behindert hätten, seien versetzt worden.

Das harte Durchgreifen gegen den Drogenhandel kommt trotz der vielen Todesopfer in großen Teilen der Bevölkerung an. Menschenrechtsgruppen sind hingegen sehr besorgt. Amnesty International fordert einen Stopp des „Kriegs gegen Drogen“. Menschenrechtsverletzungen seien kein Instrumentarium für eine staatlich kontrollierte Drogenpolitik. Zudem kritisiert die Organisation eine Äußerung von Innenminister Wan Muhamad Nor Matha von Ende Januar, hartnäckige Drogendealer würden künftig „spurlos verschwinden“. Nach Meinung von Kritikern öffnen solche Aussagen der polizeilichen Willkür Tür und Tor. Einzig die Gerichte und nicht die Polizei hätten darüber zu entscheiden, ob jemand schuldig sei.

Nick Cheeseman von der in Hongkong ansässigen Asiatischen Menschenrechtskommission erklärte gegenüber der taz, er rechne mit einem ernsthaften und langfristigen Schaden für das rechtsstaatliche System Thailands. Die Polizei sei unter großen Erfolgsdruck gesetzt worden.

Schon die hohe Zahl der innerhalb kurzer Zeit Verhafteten dürfte jedes noch so wohl organisierte Justizsystem sprengen. Öffentlichkeitswirksam wurden zudem sechs Millionen Methamphetamin-Tabletten sichergestellt. Zwar grenzt Thailand an das Goldene Dreieck, Südostasiens traditionelles Opiumanbaugebiet. Doch nach Schätzungen des Gesundheitsministeriums konsumieren die mehr als drei Millionen drogensüchtigen Thais vorwiegend synthetische Drogen. Als Folge der Razzien haben sich die Preise für Methamphetamin-Tabletten fast vervierfacht, von umgerechnet 1,80 auf 7 Euro pro Stück.