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Archiv-Artikel

Ulla Schmidt verliert einen weiteren Freund

Nach dem Urteil zu Horror-Schichten bei Medizinern fordern die Klinikärzte eine Reform ihrer Arbeitszeiten

BERLIN taz ■ Ulla Schmidts Probleme wachsen täglich an. Gestern kündigte auch der SPD-nahe Marburger Bund, der Interessenverband der Krankenhausärzte, der Gesundheitsministerin die Freundschaft auf. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, wonach die Bereitschaftsdienste der Klinikärzte als Arbeitszeit anerkannt werden müssten, wertete Marburger-Bund-Chef Frank-Ulrich Montgomery als „weitere schöne Ohrfeige für die handelnden Politiker“.

Gemeint war vor allem Schmidt, „deren Blockadehaltung wir nicht weiter ertragen werden“, wie Montgomery sagte. Erneut forderte er, dass das Arbeitszeitrecht geändert werde – „und zwar sofort, im Rahmen der Gesundheitsreform“.

Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hatte am Dienstagabend den Ärzten einen Etappensieg im Kampf gegen die menschenfeindlichen Arbeitsbedingungen in Kliniken beschert. Das Gericht erklärte, dass das deutsche Arbeitszeitrecht der europäischen Norm angepasst werden müsste. Diese erklärt Bereitschaftsdienste erstens zur Arbeitszeit und verbietet es zweitens, dass Angestellte mehr als durchschnittlich 48 Stunden pro Woche arbeiten.

Nach Berechnungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) müsste bei Anpassung an das EU-Recht der Klinikbetrieb so umorganisiert werden, dass 27.000 neue Ärzte und 14.000 weitere Pflege- und Verwaltungskräfte eingestellt werden müssten. Dies würde 1,75 Milliarden Euro kosten und wäre nach Meinung der DKG nicht ohne Anhebung der Kassenbeiträge um etwa 0,2 Prozentpunkte zu bewältigen. „Die Krankenhäuser können die Mehrkosten keinesfalls schultern“, sagte DKG-Präsident Burghard Rocke gestern.

Nun glauben weder die Gewerkschaft Ver.di noch der Marburger Bund, dass die Zahlen gar so dramatisch. Einigkeit herrscht jedoch darin, dass es nicht reicht, nur wie bisher in einzelnen Kliniken neue Arbeitszeitmodelle auszutüfteln. Hier sind manche Innovationen schon daran gescheitert, dass Ärzte bei reduzierter Arbeitszeit auch Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. Der Marburger Bund geht jedoch davon aus, dass die Mehrheit der Klinikärzte für weniger Arbeit auch auf Lohn verzichten würde. Grundsätzlich aber müsste erst einmal mehr Geld auf Grundlage einer Veränderung des Arbeitszeitgesetzes zur Verfügung gestellt werden.

Das sieht die Regierung überhaupt nicht so. Das Arbeitsministerium erklärte gestern, es werde erst einmal ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum selben Thema abwarten. Dies werde voraussichtlich in drei Monaten vorliegen. Dann werde die Regierung „prüfen“, wie das Urteil in Deutschland umzusetzen sei.

Auch das Gesundheitsministerium befand gestern, das Arbeitsrecht sei nicht das Problem. Es sei Sache der Krankenhäuser und Ärzte, sich auf weniger belastende Arbeitszeitmodelle zu einigen. Nach einem „Arbeitszeitgipfel“ vor einem Jahr habe das Ministerium bereits 200 Millionen Euro für Innovationen bereitgestellt – „davon ist noch kein einziger Cent abgerufen worden“, erklärte eine Sprecherin.

ULRIKE WINKELMANN