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Archiv-Artikel

Sündenbock mit 4 Buchstaben, erster: „G“

Harte Zeiten für die PDS in der rot-roten Koalition. An uns liegt’s nicht, sagt die Führung um Wirtschaftssenator Harald Wolf und Parteichef Stefan Liebich. Am Wochenende soll sich ein Parteitag der Einschätzung anschließen, schuld sei vor allem die Spitze der Bundespartei. Dagegen regt sich Unmut

von ROBIN ALEXANDER

Würde die PDS am Wochenende keinen Parteitag veranstalten, sondern ein Kreuzworträtsel, wäre dies sehr einfach: Sündenbock mit vier Buchstaben, erster ein „G“? Gysi? Gabi? Gera? Alles richtig, in genau dieser Reihenfolge.

„1 Jahr Rot-Rot. Bilanz und Perspektiven“ lautet der wichtigste Tagesordnungspunkt beim Landesparteitag, den die PDS an diesem Wochenende in Lichtenberg veranstaltet. Die Bilanz fällt mager aus. Seit die Partei regiert, haben sich ihre Umfrageergebnisse mehr als halbiert. Einen Einbruch von solchen Ausmaßen (10 Prozentpunkte) in nur einem Jahr hat es in der Berliner Parteiengeschichte seit 1945 nicht gegeben. Die Verantwortung dafür liegt nicht bei der Parteiführung. Meint die Parteiführung. In ihrem Leitantrag nennt sie als Ursache vielmehr die Ämterflucht Gregor Gysis, die der Bundesvorsitzenden Gabi Zimmer zugeschriebene Niederlage bei der Bundestagswahl und den anschließenden Parteitag von Gera, wo Zimmer gegen die Reformlandesverbände gestärkt wurde.

Über diesen als „Mangel an Selbstkritik“ empfundenen Passus gab es massiven Unmut auf den Delegiertenkonferenzen, die in der vergangen Woche in allen Bezirken stattfanden. In Lichtenberg etwa wurden sogar Gegenstimmen angedroht. Die Bezirksvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch will auf dem Parteitag die Führung fragen: „Wo ist euer Anteil, Genossen?“

Harald Wolf und Stefan Liebich, der heimliche und der nominelle Parteivorsitzende, haben jedoch einen Trumpf für den Parteitag. Die meisten Delegierten teilen in der Sache die Positionen der beiden Chefs. Und die haben sich das rechtzeitig schriftlich geben lassen. „85 Prozent von euch haben vor einem Jahr für den Koalitionsvertrag gestimmt“, sagen Wolf und Liebich immer wieder: „Da stand alles schon drin.“ Das stimmt. Aber erst jetzt wird vielen Genossen klar, worauf sie sich im Kleingedruckten eingelassen haben. „Am längsten haben wir vor einem Jahr über die Präambel diskutiert“, erinnert sich Gernot Klemm, Kreisvorsitzender von Pankow. Proteste von Bürgern gibt es aber gegen Streichungen von Zuschüssen für soziale Träger in den Bezirken, gegen Schulschließungen oder den teuren Eintritt für die Schwimmbäder.

Wolf und Liebich argumentieren: Der Koalitionsvertrag bedroht uns nicht, er kann sogar unsere Waffe sein. Die von der SPD geplanten Erhöhungen der Kita-Gebühren konnten abgeschmettert werden, weil sie nicht drinstehen. Und erst die für die Ostseele so wichtigen symbolischen Akte: Hat Daniela Dahn nicht eine Ehrung erhalten? Ist nicht Nikolai Bersarin wieder Ehrenbürger Berlins? Was im Vertrag steht, wird Wirklichkeit.

Dabei haben die Vertragspartner durchaus unterschiedliche, ja einander widersprechende Ziele. Klaus Wowereit, der weiß, dass rot-rote Koalitionen in der SPD als Auslaufmodell gelten, will sich als Avantgarde profilieren, indem er den Ausstieg aus dem starren Tarifsystem schafft. Stefan Liebich wünscht sich von seinem Parteitag hingegen ein ganz anderes Signal: „Wir wollen zurück in die Tarifverträge.“ Während Wowereit mit dem Versuch scheiterte, die Gewerkschaften mit einer Öffnungsklausel über den Bundesrat zu knacken, habe, so Liebich, die PDS „nie aufgehört, Angebote zu machen“. 35-Stunden-Woche, Ost-West-Ausgleich, Rückkehr in den Flächentarifvertrag – trotzdem werden Vertreter von Ver.di auch auf dem Parteitag die Senatspolitik attackieren.

An zwei weiteren Punkten könnte es an diesem Wochenende Ärger geben. Erstens: Der Parteitag wird eine Resolution gegen einen neuen Krieg am Golf verabschieden. Aber noch immer zirkuliert die Forderung, bei Beginn eines Krieges einen Sonderparteitag zu veranstalten. Liebich – und noch stärker Wolf – halten das für kontraproduktiv und unkontrollierbar. Zweitens: Der Parteitag debattiert über die Trennung von Amt und Mandat. Als Prinzip gab es das bei der PDS anders als bei den Grünen nie. Und die Senatoren Wolf und Thomas Flierl haben auch gerade erst ihre Plätze im Abgeordnetenhaus für Nachrücker geräumt. Aber Stefan Liebich vereint den Partei- und Fraktionsvorsitz in einer Person. In dieser Woche erlitt der innerparteiliche Erfolge gewöhnte 30-Jährige eine erste Niederlage. Seine Fraktion verweigerte ein vom ihm gewünschtes Bekenntnis zum Bau eines Großflughafens mit öffentlichen Mitteln. Einige Abgeordnete wollen die eigentlich ausgestandene Standortdebatte wieder beginnen. Andere fürchten, die hohen Investitionen angesichts der Kürzungen in allen Bereichen nicht rechtfertigen zu können. Liebich argumentierte wieder einmal mit dem Koalitionsvertrag. Trotzdem stimmte eine knappe Mehrheit für eine Vertagung. Ein schlechtes Zeichen für den morgigen Parteitag.

Eine Abwahl Liebichs wird es jedoch kaum geben. Anträge, die etwa fordern, er möge sich „innerhalb von hundert Tagen“ für eines seiner Ämter entscheiden, sind nicht mehrheitsfähig. So wird Gesine Lötzsch auch weiter über die „Arbeitsteilung in der PDS“ scherzen: „Harald Wolf klärt die Politik mit Wowereit und Peter Strieder. Danach informiert er Liebich. Und der informiert alle anderen.“