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Archiv-Artikel

Die Kugel im Kopf – und ihre Folgen

Acht Monate, nachdem der kurdische Menschenrechtler Abdulkadir Akbaba in Bremen an den Folgen einer Schussverletzung starb, ist vor allem eines klar: Nichts ist klar. Die Mutter seiner Tochter muss um Aufklärung und Halbwaisenrente kämpfen

Von ede

taz ■ Abdulkadir Akbabas Tod „war sinnlos und tragisch“. Nur in diesem einen Punkt sind sich alle einig: Akbabas ehemalige Arbeitgeberin Arbeiterwohlfahrt (AWO), sein großer Bremer Freundeskreis – und Juristen, die sich mit dem Tod des als Menschenrechtler bekannten Kurden im vergangenen Juni befassen. Denn „Kadir“, wie ihn seine Freunde nannten, starb an den Folgen eines Schusses.

Akbabas Tod ist Monate her: Die Kugel traf ihn 43-jährig am Pfingstmontag vergangenen Jahres in die Stirn. Tatort war die private Wohnung einer türkischen Frau, die Akbaba kannte, weil er im Auftrag der AWO ältere Einwanderer betreute. Zum Tatzeitpunkt anwesend war auch deren Mann – doch zum Tathergang haben die beiden sich lange widersprochen.

Umso mehr erwartet Katharina Venzky, die Mutter von Akbabas inzwischen fünfjähriger Tochter Cana, Aufklärung über den Tod ihres früheren Partners – und „einen angemessenen Umgang“ damit. „Wenn meine Tochter größer ist, wird sie nach dem Tod ihres Vaters fragen.“ Sie selbst hat ihre Arbeitsszeit reduziert, um die Tochter zu versorgen – aber auch, um Zeit für die vielen Ämtergänge zu haben. Denn ungeklärt wie die Todesumstände ist bislang, ob die hinterbliebene Tochter irgend einen Versorgungsanspruch als Halbwaise hat. Eine Frage, die der Ausgang eines Strafverfahrens beeinflussen könnte. Doch sah vor kurzem alles danach aus, als sei Venzky da vergeblich angetreten.

„Im Dezember hat mir die Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt worden ist, weil es keine Anhaltspunkte für Fahrlässigkeit oder Vorsatz gäbe“, sagt Katharina Venzky. Sie war schockiert. Auch FreundInnen des Getöteten reagierten ungläubig: „Jeder größere Autounfall kommt vor Gericht – aber wenn jemand an einem Schuss stirbt, will niemand Anklage erheben?“

Die Bremer Staatsanwaltschaft gab dazu gestern keine Stellungnahme ab. Doch ist bekannt, dass eine Beschwerde von Rechtsanwalt Albert Timmer gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens kürzlich Erfolg hatte. Auf Weisung der Generalstaatsanwaltschaft muss die Staatsanwaltschaft sich nun weiter mit dem Fall befassen, über den offizielle Stellen von Anfang an widersprüchliche Angaben gemacht hatten – möglicherweise, weil verschiedene Umstände die Ermittlungen erschwerten.

So war am Tattag in der Wohnung, wo die Kugel Akbaba traf, noch ein weiterer Schuss gefallen, der die Frau verletzte. Sie war erst im Krankenhaus, später in psychiatrischer Betreuung. Ob sie aber nur Opfer ist, oder ob sie die Waffe in bestimmter Absicht holte, darüber wird nach allen Ermittlungen und widersprüchlichen Aussagen am Ende wohl ein Gericht befinden – wie vielleicht auch darüber, ob sich am Tod von Abdulkadir Akbaba jemand schuldig gemacht hat – er trug Würgemale am Hals, als er schwer verletzt in die Klinik eingeliefert wurde, wo er nach fünf Tagen Koma verstarb.

„Tragisch“, sagt auch Hannelore Bitter-Wirtz von der AWO. Der Tod des Mitarbeiters, der als Honorarkraft beschäftigt war, habe die Kollegen sehr beunruhigt. „Die Stelle war lange vakant.“ Dabei vertritt die AWO rechtlich die Position, dass Akbaba, der seit seiner Anerkennung als politischer Flüchtling Sozialpädagogik studierte, nicht dienstlich unterwegs war, als ihn die Kugel traf. Honorarkräfte wie er hätten grundsätzlich die Weisung, keine Hausbesuche zu machen. Diese Position sei Mitarbeitern des Migrationssozialdienstes nach dem Vorfall erneut „eindringlich erklärt“ worden. ede