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Archiv-Artikel

„Die Gutachten sind ein Riesenproblem“

Klaus Zöllig, Vorsitzender des Dopingopfer-Hilfevereins, räumt mit der Ansicht auf, dass es sich nur um ein Häuflein DDR-Anabolikageschädigte handeln könne, weil bisher erst 38 von ihnen Antrag auf Entschädigung gestellt haben

„An der Tatsache, dass es Dopingopfer gibt, ändern auch erst 38 Anträge nichts“

Herr Zöllig, der SPD-Politiker Friedhelm Julius Beucher hat dieser Tage festgestellt, die Frage, ob es flächendeckendes Doping in der DDR gegeben habe, müsse neu gestellt werden. Wie können Sie ihm antworten?

Klaus Zöllig: Diese Frage muss man nicht beantworten, sich stellt sich erst gar nicht. Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass in der DDR flächendeckendes Doping stattgefunden hat und dass bis zum heutigen Tag Sportler, denen man die Mittel verabreicht hat, darunter leiden und mit den Folgen zu kämpfen haben.

Herr Beucher war bis vor kurzem immerhin Vorsitzender des Sportausschusses im Bundestag. Wie kann so jemand eine solche Aussage treffen?

Ich weiß nicht, warum er das getan hat. Vielleicht war Herr Beucher geschockt, dass bisher nur 38 Anträge auf Entschädigung nach dem Dopingopfer-Gesetz gestellt wurden; das war ich zunächst auch. Er setzt das wohl in Korrelation zu der absoluten Zahl an Dopingopfern.

Nach dem Motto: Wenig Anträge bedeuten wenig Dopingopfer. Und das wiederum lässt Zweifel aufkommen, dass es überhaupt flächendeckendes Doping in der DDR gab. Darf man so rechnen?

Nein, das ist völlig falsch. Allein wir mit unserer Beratungsstelle haben bis zum heutigen Tag über 300 Gespräche mit Dopingopfern geführt. Warum die Anträge im Einzelnen bisher noch nicht gestellt wurden, ist eine andere Frage. An der Tatsache, dass es die Opfer gibt, ändert das aber nichts. Nicht im Geringsten.

Genau diese Diskussion wird durch die Äußerungen aber wieder aufgewärmt.

Wenn die Dopingopfer nicht in der Lage sind, ihre Anträge termingerecht abzugeben, aus welchen Gründen auch immer, dann müssen sie sich selbst zuschreiben, wenn die Diskussion wieder ausbricht.

Das klingt ein wenig enttäuscht. Wie sehr hat es Sie, der sie seit Jahren für die Dopingopfer kämpfen, getroffen, dass bisher erst so wenig Anträge eingegangen sind?

Um die Weihnachtszeit, als sogar nur fünf Anträge vorlagen, war ich wirklich am Rande der Depression, weil ich gedacht habe: Das kann doch nicht wahr sein. Ich habe mich da richtiggehend im Stich gelassen gefühlt, ich war völlig von der Rolle. Inzwischen bin ich aber wieder etwas optimistischer, weil ich mir sicher bin, dass bis zum Ende der Antragsfrist am 31. März deutlich mehr Anträge vorliegen werden.

Warum gehen die Anträge auf Entschädigung beim Bundesverwaltungsamt in Köln so schleppend ein?

Zum einen haben wir ein Riesenproblem mit den fachärztlichen Gutachten, die den Anträgen beigefügt werden müssen. Zumal uns, also dem Verein für Dopingopfer-Hilfe und der Beratungsstelle, zunächst mitgeteilt wurde, dass alte, bereits bestehende Gutachten für den Antrag keine Gültigkeit besäßen. Das hat man zwar letzte Woche widerrufen, bis dahin aber standen wir vor dem Problem, dass wir für jeden Antragsteller ein neues Gutachten brauchten.

Was ist so schwer daran, ein solches Gutachten zu erstellen?

Vielen Patienten, die bei Ärzten in den Neuen Bundesländern in Behandlung sind, teilweise seit Jahren, sagen die Ärzte jetzt, dass ihnen die nötigen Grundkenntnisse fehlen und sie deshalb ein solches Gutachten nicht erstellen können. Die raten ihren Patienten dann, sich an eine Universität oder einen Spezialisten zu wenden. Aber das kostet Zeit und Geld. Hinzu kommt, dass es viele Ärzte gibt, die früher selbst im Sportmedizinischen Dienst der DDR tätig waren und heute als Orthopäde oder Sportmediziner arbeiten. Und die sagen: Das mit dem Doping und den Opfern ist alles Quatsch. Das bescheinige ich nicht. Das gibt’s ja gar nicht.

Genau in diese Kerbe hat auch Andreas Krieger, selbst Dopingopfer, gerade geschlagen. Er hat bemängelt, dass viele Ärzte davor zurückschrecken, eine Bestätigung für die gesundheitlichen Schädigungen durch das Doping zu geben. Krieger wörtlich: „Viele haben nicht das Rückgrat.“ Was meint er damit?

Andreas Krieger ist ein gutes Beispiel. Der kämpft sehr stark um seine Anerkennung, aber es fehlt ihm und auch seiner Lebensgefährtin bisher noch das Gutachten. Beide leben in Magdeburg. In Magdeburg gibt es zwar genügend Sportmediziner, aber sie können davon ausgehen, dass alle beim Sportmedizinischen Dienst waren. Und die verneinen das einfach: Doping hat’s nach deren Ansicht gar nicht gegeben.

Weil sie selbst Rädchen im DDR-Dopingsystem waren.

Ja, genau. Das denke ich.

Was umfasst so ein Gutachten? Wie lange dauert es, bis es erstellt ist?

Es muss die Vorgeschichte des betroffenen Sportlers beinhalten und es muss klar begründen, warum die Dopingmitteleinnahme zu einer bestimmten Krankheit geführt hat. Wenn man ein bisschen die entsprechende Literatur kennt und sich eingearbeitet hat, kann man derartige Dinge relativ schnell feststellen. Eine Frau, die mit 32 Jahren ein künstliches Hüftgelenk braucht und mehrere Wirbelzusammenbrüche hat, ist eben nicht typisch. Und wenn einem ehemaligen Sportler Brüste wachsen, liegt die Ursache doch auf der Hand. Bei den meisten sind die Fälle durchaus klar gelagert.

Wenn in der Beratungsstelle bisher über 300 Dopingopfer beraten wurden, mit wie vielen Anträgen rechnen Sie noch bis zum Ende der Antragsfrist am 31. März?

Birgit Boese, die die Beratungsstelle leitet, ist sich sicher, dass es deutlich über 200 Anträge sein werden.

Selbst das bliebe hinter Ihren ursprünglichen Erwartungen zurück. Sie sind einmal von 1.000 Antragstellern ausgegangen.

Nein. Das ist so nicht richtig. Wir sind zwar von einer Zahl von 10.000 gedopten Sportlern ausgegangen und von 10 Prozent, die ernsthafte Schäden davongetragen haben. Aber wir sind auch davon ausgegangen, dass nicht mehr als die Hälfte am Ende auch Anträge auf Entschädigung stellen werden. Das wären 500. In der Beratungsstelle haben wir bisher über 300 Beratungsgespräche geführt. Jetzt hoffe ich, dass die auch alle ihre Anträge stellen. Aber selbst wenn sie es nicht tun sollten, ändert es nichts an der Tatsache, dass gedopt wurde und dass es Dopingopfer gibt.

INTERVIEW: FRANK KETTERER