Was der Krieg von Grosny übrig ließ

Bilder der Zerstörung: Von einer alten Russin bekam Sylvie Françoise historische Postkarten geschenkt. Die Fotografin machte sich auf, an denselben Orten aktuelle Aufnahmen zu machen

FOTOS UND TEXT SYLVIE FRANÇOISE

Diese Fotoreportage entstand während zweier humanitärer Missionen nach Tschetschenien im März 2002 und im April 2003. Die Bilder mussten heimlich aufgenommen werden, da das in Grosny allgegenwärtige russische Militär jegliches Fotografieren untersagt hatte. Meine kleine Leica M 6 hatte ich in einer Tasche versteckt und überstand damit unbeschadet jede Kontrolle. Für das Foto oben auf der Seite musste ich mehrere Runden um den Platz drehen, um einen Augenblick abzupassen, in dem die in regelmäßigen Abständen durch das Stadtviertel patrouillierenden Soldaten unaufmerksam waren.

Auf meiner ersten Reise traf ich eine alte Einwohnerin Grosnys. Sie war russischer Herkunft und lebte in einem Wohnblock aus sowjetischer Zeit, der zu zwei Dritteln zerstört war. Um in ihre Wohnung zu gelangen, musste man sich über Schuttberge im Treppenhaus bis in die dritte Etage vorarbeiten.

Als letzte Bewohnerin harrte sie noch in dieser Ruine aus. Die Tschetschenen in meiner Begleitung versorgten sie regelmäßig mit Nahrung und Wasser. Ohne die Hilfe dieser Menschen hätte sie in dieser Situation niemals überlebt.

Aus unserem Gespräch sind mir die folgenden Worte dieser Frau im Gedächtnis geblieben: „Ich habe hier gelebt, und ich werde hier sterben. Nicht alle Russen sind schlechte Menschen.“

Die alte Russin vertraute mir ein Bündel Postkarten an. Sie zeigen die Stadt Grosny, wie sie vor Beginn des Krieges ausgesehen hat, zu sowjetischer Zeit im Jahre 1988. Ich wusste sofort, dass diese Postkarten ein Mittel sind, das Ausmaß der Zerstörung des Krieges darzustellen. So habe ich mich vor Ort auf die Suche nach all diesen Plätzen begeben, um zu dokumentieren, was von ihnen nach zwei kriegerischen Konflikten noch übrig ist. Diesem Krieg, der bis heute zu keinem Ende gekommen ist.

Ohne den Mut und die Unterstützung zahlreicher Tschetschenen, die mich geführt und heimlich bei sich in der Wohnung aufgenommen haben, die einfach Vertrauen zu mir hatten, wäre meine Reportage niemals entstanden. Diese Menschen zeigen sich bereit, ihr Leben zu riskieren, damit die Welt erfährt, was sich in Grosny abspielt.

Übersetzung: Jan-Hendrik Wulf