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Archiv-Artikel

Die Schrecken der Niedlichkeit

Nudelhölzer, gebrochene Herzen und die dunkle, dunkle Stadt: Lilian Mouslis Bilder in der Galerie BAGO enthüllen geheimnisvolle Abgründe, die überall lauern, wenn man lange genug hinschaut

VON STEPHANIE GRIMM

Auf den ersten Blick ganz schön bedrohlich wirkt die seltsam klumpige Kreatur mit Nudelholz im Anschlag, das über dem Kopf eines anderen, allerdings viel kleineren und unschuldigeren Wesens schwingt. Zwei Bilder zuvor hatte das Kleine noch auf dem Bett gesessen und sich glücklich herumgeknutscht. Die Verwandtschaftsverhältnisse auf dem Bild sind ebenso ungeklärt wie die geschlechtliche Identität der beiden seltsamen Kreaturen, aber vermutlich verhaut hier gerade ein Elternteil sein amourös verstricktes Kind. Beim zweiten Hingucken denkt man: Ach, wie albern, dieses dick aufgeblasenes Ding mit seinem Nudelholz. Vor so einem darf man doch keine Angst haben. Eher ist Mitleid angesagt mit dieser lächerlichen Kreatur.

Bleibt man lange genug stehen, entwickeln sich Lillian Mouslis zunächst naiv und niedlich wirkende Bilder zum Wechselbad der Gefühle. Abgründe tun sich auf – und gleichzeitig hat man bei vielen Bildern das Gefühl, als flüstere die Künstlerin einem zu, dass man sich von diesen Abgründen bloß keinen Schrecken einjagen lassen darf. Doch ein paar Bilder weiter schleicht ein drahtiges Wesen, das gerade noch küssend mit dem unschuldigen Kind auf dem Bett saß, in die dunkle Nacht hinaus und trägt sein großes, aber zerbrochenes Herz vor sich her. Es hat also doch Schaden angerichtet, das Monster mit dem Nudelholz. Aus mittlerweile 152 Bildern besteht Lillian Mouslis Serie „Die Augen der Angst“, die derzeit neben einigen anderen Arbeiten der Deutsch-Amerikanerin in der kleinen, feinen und im Niemandsland der Blücherstraße sich ganz überraschend materialisierenden Galerie BAGO ausgestellt ist.

Seit zehn Jahren arbeitet die Comiczeichnerin und bildende Künstlerin, die während eines Spanienaufenthalts vor zwanzig Jahren zum Malen kam, an dieser Serie. Immer wieder kommen neue 20 mal 20 Zentimeter große Bilder zu der lose strukturierten Erzählung dazu. Trotz der langen Zeitspanne, in der sie entstanden ist, wirkt ihre Arbeit konsistent. Mousli arbeitet sich an menschlichen Bedürfnissen und Ängsten ab und kocht sie in ihren Bildern auf das Wesentliche ein. Daher rührt wohl auch die Allgemeingültigkeit, die ihre Bilder ausstrahlen.

„Die Augen der Angst“ erzählen Geschichten, die in die Großstadt gehören, weil sie mit deren romantischen Konnotationen und Mythen spielen. Einfach, bauklotzartig, dunkel und aufs Wesentliche reduziert ist die Stadt, in der sich Mouslis einsame, knopfäugige Seelen herumtreiben. Man landet als Betrachter in jemandes Leben, guckt ein bisschen zu und schwebt dann nach diesem flüchtigen Besuch einfach aus dem Fenster in die Nacht hinaus. Irgendwo am Horizont gibt es bestimmt noch ein erleuchtetes Fenster, hinter dem das Leben weitergeht.

Lillian Mousli lässt sich treiben und blickt dabei scheinbar naiv auf das Geheimnisvolle, das überall lauert, wenn man nur lange genug hinschaut. Worte braucht die Autodidaktin nur selten zur Illustration ihrer Welten – und wenn sich doch einmal ein paar eindeutige Worte in ein Bild schleichen („I wish I was someplace else“) wirkt das fast störend. Auch, wenn diese Worte natürlich nachvollziehbar sind.

In einer anderen großen, in der Galerie ausgestellten Arbeit, dem sechsteiligen Panoramabild „Dragon Lines“, treibt Mousli dagegen der Schalk um. Zwar geht es auch hier recht grausam zur Sache – so ein Drache muss eben nur einmal Feuer speien, dann stehen die Gewinner und Verlierer fest – doch die Fabeltiere haben auf so eine charmante Art und Weise Spaß an ihren Brutzelorgien, dass man sich einfach mit ihnen freuen muss.

In den letzten Jahren hat Mousli ihren Referenzrahmen kontinuierlich erweitert, es geht nicht mehr vorwiegend um die nächtliche Stadt und die Geheimnisse, die sie birgt. Zu ihren neueren Arbeiten gehört beispielsweise eine Serie über chinesische Schriftzeichen. Es gibt einfach immer wieder Dinge, über die es sich staunen lässt. So geht es wohl dem Schaf in dem Bild „Das Buch“: Es sitzt auf der grünen Wiese und guckt ein bisschen befremdet und ein bisschen neugierig in ein Buch. Und als Betrachter weiß man gar nicht so recht, was seltsamer ist – dass da ein Schaf auf der grünen Wiese sitzt und in ein Buch schaut. Oder dass das Tier sogar chinesische Schriftzeichen lesen kann.

Bis 25. 3., Di und Do 14–20 Uhr, BAGO Galerie, Blücherstr. 23, Kreuzberg