: Rau entdeckt doch noch Berlin
„Wir müssen uns der Hauptstadtfrage zuwenden“, erklärt der Bundespräsident. Darüber freut sich der Senat: „Das ist ganz in unserem Sinne.“ Gibt es nun doch noch eine Hauptstadtkommission?
VON ROBIN ALEXANDER
Überraschend hat Bundespräsident Johannes Rau (SPD) gefordert, die Rolle Berlins im föderalen System der Bundesrepublik zu überdenken. „Wir müssen uns der Hauptstadtfrage zuwenden“, erklärte Rau in einem Zeitungsinterview auf die Frage, wie nötig in Deutschland eine Verfassungsreform sei. „Wir müssen die Funktion von Berlin als Hauptstadt definieren. Das kann nicht einfach im Länderfinanzausgleich erledigt werden. Da muss es spezielle Aufgaben geben, zu denen auch alle stehen“, führte der Rau gegenüber der Welt am Sonntag weiter aus.
Die Landespolitik wurde vom Vorstoß Raus überrascht. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) weilt zur Zeit noch im Urlaub. Senatssprecher Michael Donnermeyer begrüßte die Initiative Raus: „Das ist ganz in unserem Sinne.“ Der Senat habe schon vor einem Jahr eine Hauptstadtdebatte angemahnt, wolle diese aber den anderen Ländern nicht aufzwingen.
Das war freilich nicht immer so: Die Forderung, die Funktion der Hauptstadt und ihre Finanzierung neu zu überdenken, wurde von der Landespolitik früher nicht unbedingt offensiver, aber deutlich öffentlicher vorgetragen. Der schwarz-rote Senat unter Eberhard Diepgen (CDU) nährte gar die Illusion, der Berliner Haushalt sei dadurch sanierbar, dass der Bund sich stärker für Kultur und Sicherheit in Berlin engagiere. Auch im vergangenen Wahlkampf spielte das Thema eine Rolle. Der PDS-Kandidat Gregor Gysi forderte lautstark eine „Hauptstadtkommission“ und zwang seinen deutlich skeptischeren Konkurrenten und späteren Koalitionspartner Klaus Wowereit diese Forderung zu übernehmen.
Im Amt tat dies Wowereit – zuerst mit wenig Erfolg. Seine Bitte, eine Hauptstadtkommission einzurichten, fand bei Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) kein Gehör. Der Kanzler verwies Wowereit an den Bundespräsidenten. Rau erklärte Wowereit im Zwiegespräch, er wolle erst die Ergebnisse der Nationalstiftung abwarten, die sich im vergangenen Jahr ebenfalls mit der Hauptstadtfrage beschäftigt. Inoffiziel hieß es aus dem Bundespräsidialamt, Rau beurteile die Idee einer Hauptstadtkommission „mit einer gewissen Skepsis“.
Die offizielle Antwort Raus steht freilich noch aus. Sie wird in den kommenden Monaten erwartetet. Nun wieder mit mehr Hoffnung: Denn die Nationalstiftung kam in ihrer im Herbst vorgestellten Berlinstudie zu dem Ergebnis, dass die in Bonn verbliebenen Bundesministerien schleunigst nach Berlin umziehen sollten und die Stadt zudem einer gesonderten Alimentierung als Hauptstadt bedürfe. Raus aktuelle Andeutungen weisen darauf hin, dass sich der im Sommer ausscheidende Präsident diese Position zu Eigen machen könnte.