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Archiv-Artikel

Der große Wurf ist unwahrscheinlich

Die Union will die Regierung vorführen – ähnlich wie im vergangenen Jahr. Doch diesmal könnte die SPD sich besser schlagen

BERLIN taz ■ Die Union hatte eine Idee. Um Rot-Grün vor sich herzutreiben, forderte Edmund Stoiber im März 2001, die Steuerreformstufen vorzuziehen. Das Perfide daran: Mit der Zeit entstand beim Wähler der Eindruck, als sei die ganze Steuerreform eigentlich eine Idee der Union gewesen. Bedrängt durch Rezession und die Sozialdebatte im eigenen Lager, musste der Kanzler deshalb im Juni 2003 die Notbremse ziehen: Da verkündete er, die Regierung wolle nun selbst die Steuerreform vorziehen. Doch die Union konterte: Nun wollte sie nicht mehr, wegen der zu hohen Verschuldung. Und drängte Schröder abermals in die Ecke.

In diesem Jahr kündigt sich ein ähnlicher Debattenverlauf an: Die Union will wieder beweisen, dass sie die wahren Steuersenker sind, und machen Druck mit den radikalen Steuerreformentwurf, den Fraktionsvize Friedrich Merz mit großer Hybris vorträgt. Nur wie der Entwurf gegenzufinanzieren ist, will wieder niemand in der Union verraten. Oppositionsführerin Angela Merkel geht gar so weit, von der Regierung einen Gesetzentwurf zu verlangen, der genau diese Fragen klärt. Die Strategie ist dieselbe wie im Vorjahr: Die Union möchte die großen Erleichterungen (der Steuerreform) verkünden, die Grausamkeiten (das Sparen) aber der Regierung überlassen. Im vergangenen Jahr verlor die SPD dieses Spiel. Lange versuchte im Sommer der Kanzler, die Details der Gegenfinanzierung offenzuhalten und die Union dazu zu zwingen, zu erklären, wie denn das Vorziehen der Steuerreform ohne Schulden möglich sein soll. Doch die hielt durch – bis zum Vermittlungsausschuss. Ja, sie profilierte sich gar noch als Retterin der Pendler- und Eigenheimpauschale, die die Regierung ganz abschaffen wollte.

Fast schon flehentlich wirkt deshalb des Kanzlers Wort im Spiegel von heute, die Union müsse „ihre Vorstellungen“ einbringen: „Gibt sie ihre Position auf, immer nur niedrigere Tarife in die Welt zu posaunen und gleichzeitig jeden Subventionsabbau zu diskreditieren, kann man reden.“ Gleichzeitig versucht Gehard Schröder das Thema Steuerreform niedrig zu hängen. Im Interview spricht er lieber über seine Innovationsoffensive – und die Berufung eines „Innovationsrates“. Mit Kommissionen und Räten konnte der Kanzler schon die Hoheit über Bioethik und Arbeitsmarktreformen an sich reißen.

Die SPD ist offenbar fest entschlossen, das Thema Steuerreform niedrig zu hängen. Man sei zwar bereit zu verhandeln, aber wie Fraktionschef Franz Müntefering am Wochenende der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, man halte „diese so genannte große Steuerreform für überbewertet“. Und dann spricht Müntefering von neuen „Hochleistungsuniversitäten“. Nach den Einschnitten der Agenda 2010 wollen die Sozialdemokraten wieder mehr von Aufbau reden.

Helfen wird der Regierung die anziehende Konjunktur, auch wenn der starke Euro die deutschen Exporte spürbar beeinträchtigen dürfte. Wie die 24 Milliarden Euro Steuerausfälle der Merz-Reform zu stopfen sind, ist auch jenseits von Parteitaktik eine knifflige Frage. Vor ein paar Tagen musste das Finanzministerium bereits einräumen, dass Deutschlands Haushalt auch 2005 nicht ohne weiteres unter dem Maastricht-Kriterium zu halten sei.

Die vielen Einwände Edmund Stoibers gegen das Konzept von Friedrich Merz offenbaren zudem, dass auch jenseits der knappen Kassen ein großer Wurf eben doch sehr schwer ist. Denn Stoibers Konzept, das viele Subventionen und Ausnahmen erhalten will, hat mit Friedrich Merz’ Radikalität nicht mehr viel zu tun. Angesichts von 14 Wahlen in diesem Jahr ist sowieso unklar, wie es die politische Klasse mit dem Heer der Lobbyisten aufnehmen will, die vom Subventionsabbau betroffen wären.

Vermutlich wird es deshalb die SPD leichter haben als mit dem Vorziehen der Steuer 2003. Der Ausgang könnte – unter anderen Vorzeichen – ganz ähnlich sein wie im vergangenen Jahr. Nur müsste diesmal Merz zum Jahresende im Vermittlungsausschuss um die Reste seiner Reform ringen.

MATTHIAS URBACH