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Archiv-Artikel

Kinder abstempeln

Ab heute müssen 16.000 Kinder zum Erstkontakt in die Schulen. Schulleiterin und DL-Grundschulreferentin Hiltrud Blaske äußert Bedenken

Interview: KAIJA KUTTER

taz: Sie sind Grundschulreferentin des Deutschen Lehrerverbands Hamburg (DLH) und Leiterin der Schule Scheeßeler Kehre. Ab heute sollen Sie und Ihre KollegInnen hamburgweit 16.000 Kinder im Alter von viereinhalb Jahren anschauen und einschätzen. Ist das sinnvoll?

Hiltrud Blaske: Es ist sinnvoll, die Kinder frühzeitig zu erfassen, die das Deutsche nicht ausreichend beherrschen. Aber hier wird das Augenmerk nur auf die Untersuchung gelegt. Was fehlt, ist die anschließende bessere Förderung. Dafür gibt es keine Ressourcen.

Kinder mit Sprachförderbedarf bekommen einen Kita-Platz.

Das ist bestimmt sinnvoll, aber das reicht nicht aus.

Sie haben in diesen Tagen ohnehin mit der regulären Einschulung der Fünf- bis Sechs-Jährigen zu tun. Sind Sie für diese zusätzliche Aufgabe personell gerüstet?

Nein. Darüber haben wir Schulleiter uns auch schon beklagt. Vorgesehen ist, dass wir in 30 Minuten das Kind auf seine geistige, körperliche, seelische und sprachliche Entwicklung hin beurteilen. Das ist überhaupt in so kurzer Zeit nicht möglich und überschreitet unsere Kompetenz. Da muss man auch Mediziner fragen. Und anschließend soll ich unter einen Ergebnisbogen Stempel und Unterschrift setzen. Dabei habe ich ein schlechtes Gefühl.

Sie müssen sehen, das sind vierjährige Kinder, die kommen mit ihren Eltern. Die Väter und Mütter sind ganz stolz auf ihr Kind. Zu so einem kleinen Kind muss man erst mal Kontakt bekommen. Die verkriechen sich vielleicht erst mal hinter ihren Eltern. Wie soll ich da so schnell etwas abprüfen? Ich möchte den Kindern vor der Einschulung zeigen, dass wir uns auf sie freuen, dass es bei uns Interessantes und Schönes gibt. Und da geben wir einen Stempel.

Müssen Sie das tun?

Ja, der Ergebnisbogen ist rechtliche Grundlage für den Kita-Platz. Ich habe Probleme mit dieser Aufgabe, aber ich werde es so gut tun, wie ich kann. Im nächsten Jahr müsste das Verfahren geändert werden.

Und wie?

Es müsste weniger Zeitdruck geben und die Kinder müssten älter sein. Und es müsste zusätzliche Lehrer geben, die bei Bedarf die Kinder fördern. Sinnvoll wäre, einfach die reguläre Anmeldung für die Einschulung auf November vorzuverlegen, um dort Kinder mit Sprachdefiziten erfassen zu können. Dann könnte man sofort mit der Förderung beginnen. Diese Lehrer könnten anschließend in der 1. Klasse begleitend tätig sein, bis der nächste Jahrgang kommt.

Bereits im Herbst wurde in Vorschulen die tonbandgestützte Spracherhebung „HAVAS 5“ durchgeführt. War die sinnvoll?

Für HAVAS gilt das Gleiche. Dass ich eine Sprachstandserhebung mache, kann nicht falsch sein. Aber ich fürchte, der ganze Aufwand war umsonst. Es gibt keine konkrete Förderung, die daraus folgt. Die Vorschullehrer können das bei 25 Kindern pro Klasse nicht nebenbei erledigen.

Es gibt einen neuen Senator, es stehen Wahlen vor der Tür. Was sollte anders werden?

Egal, wer Senator ist, er sollte mehr Gewicht auf die Grundschulen legen. Die letzte Maßnahme für die Grundschulkinder war die Einführung der Verlässlichen Halbtagsschule. Damals hatte eine Senatorin zufällig ihr Kind in der Grundschule.