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Archiv-Artikel

Weltknast mit Philosophie-Fensterchen

Das Junge Theater verliert sich bei „Roberto Zucco“ im Einfälle-Patchwork, zeigt dafür aber einige Verwandlungskunst

Schnitt in eine kleinbürgerliche Küche: Zucco kommt nach Hause. Den Vater hat er umgebracht, Muttern steht nun da und schreit. Zucco bringt die Mutter um und setzt sich emotionslos auf ein Bänkchen. Ab sofort wird er dem Gang der Dinge in erster Linie zuschauen: wortkarg, bescheiden und ständig unter Strom. Zucco ist ein Mörder und hier, auf dieser Theaterbühne, ist er ganz Gesichtsausdruck: maximale Unberechenbarkeit bei voller Klarheit darüber, was er gerade getan hat. Eine unerreichbare, mythische Figur – ein Zucco, wie ihn sich Autor Bernard-Marie Koltès vorgestellt hat.

Koltès schrieb „Roberto Zucco“ 1989, um dem realen Roberto Succo ein Denkmal zu setzen: Der hatte inklusive seiner Eltern vermutlich sechs Menschen umgebracht. Seine Flucht vor der Polizei durch Frankreich, die Schweiz und Italien im Februar 1988 wurde zum Medienereignis, vergleichbar dem Geiseldrama von Gladbeck. Succo beging im Mai 1988 Selbstmord. Koltès sagte: „Alles, was er gemacht hat, ist unglaublich schön“. Succos Lebensbahn sei von „unglaublicher Reinheit“, denn er habe ohne „abstoßende Motive“ gemordet, frei von niederen Beweggründen. „In der Form, in der er seine Mordtaten begeht, finden wir die großen Mythen wieder, wie zum Beispiel den Mythos von Samson und Delilah.“

In 15 Stationen schickt Koltès den Dramen-Zucco durch eine Art Weltknast mit philosophischen Fensterchen: Da gibt es das Mädchen, das sich in Zucco verliebt und ihn verrät, einen Polizeiinspektor, der einer Bordellwirtin seine Depressionen beichtet, einen alten Mann, der sich nachts in einem U-Bahnschacht verirrt hat. Zuhälter, gefallene Engel und eine Geiselnahme im Park – alles in allem eine erbärmliche Tour, bevor Zucco am Ende umso pathetischer den spätantiken Mithras-Kult bemüht und sich mit einer Hymne an das Geschlecht der Sonne mythisch veredelt.

Regisseur Carsten Werner inszeniert seinen Zucco in der Schwankhalle auf einer breiten, karg ausgestatteten Raumbühne: Eine zeitliche Verortung leisten allenfalls die Kostüme, und die haben mit ihrem 80er-Jahre-Einschlag für heutige Augen etwas Trashiges. Auch ein bisschen antiquiert wirken die Stilmittel, mit denen sich das Ensemble an Koltès Desperado-Theater abarbeitet: Das unvermeidliche Mikrophon auf der Bühne, um Dialogszenen platzen zu lassen; die Videoeinspielung zur Realitätsgenese; und bei Zuccos Geiselnahme der spontane Switch ins Boulevard-Theater.

Nach gutem Anfang verliert sich die Inszenierung im Patchwork der kleinen Ideen und isolierten Details und betont gerne Unwichtigeres wie die Familiengeschichte von Zuccos Verehrerin. Dem gegenüber stehen allerdings einige sehr sehenswerte Schauspielerleistungen: Die Ensemblemitglieder übernehmen jeweils mehrere Rollen und zeigen dabei ganz beiläufig einiges Potential in Sachen Verwandlungskunst.

Auf die Frage, was man im Jungen Theater fast vierzehn Jahre nach der „Robero Zucco“-Uraufführung von der Idee des mythisch veredelten, „heiligen“ Mörders hält, gibt der Abend allerdings keine Antwort: Zuccos Schlussmonolog im Zeichen der phallischen Sonne findet in völliger Dunkelheit statt. Ob‘s zuletzt also eine Himmelfahrt oder ein Höllensturz sein soll, bleibt subjektives Kopfkino.

Klaus Irler

nächste Vorstellungen: 7., 8., 14.1., 20 Uhr in der Schwankhalle