piwik no script img

Archiv-Artikel

Atomendlager gesundgebetet

betr.: „Wulff will Niedersachsen als Endlagerland“, taz vom 27. 12. 03

Erst wurde der Niedersächsische Umweltminister Sander (FDP) zum Gesundbeten von Schacht Konrad ins Rennen geschickt, nun gibt Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff mit dem taz-Interview dazu seinen Segen, indem er die Nutzung von Konrad und Gorleben fordert.

Für solch eine Forderung fehlt aus wissenschaftlich-technischer Sicht jegliche Grundlage. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand ist es prinzipiell nicht möglich, einen sicheren Abschluss des Atommülls von der Lebenswelt zu gewährleisten. Der „positive“ Planfeststellungsbeschluss für Konrad fußt auf Strahlenschutzvorstellungen von vor 20 Jahren. Seitdem ist durch radiologische und strahlenbiologische Forschungen erwiesen, dass mit den üblichen „zulässigen“ Grenzwerten ein hohes Strahlenrisiko verbunden ist. Was bei der Erörterung im Rahmen des monatelangen Planfeststellungsverfahrens noch als „akademische Spitzfindigkeit“ zurückgewiesen wurde, ist inzwischen experimentell belegt. Diese Fakten zeigen, dass insbesondere der Bereich der dichtionisierenden Niedrigstrahlung hoch unterschätzt wurde. Es ist erwiesen, dass z. B. ein einziges Alphateilchen karzinogene und vererbbare genetische Effekte auslösen kann („Genomische Instabilität“, „Bystander-Effekt“). Auch die schädigende Wirkung der Neutronenstrahlung wurde bisher hoch unterschätzt. Unter Zugrundelegung der vorrangig aus der Neutronengewebedosimetrie stammenden Erkenntnisse würde man heute zu einer völlig anderen Bewertung der Risiken und der damit verknüpften Langzeitsicherheit kommen. Damit ist das Fundament des Planfeststellungsbeschlusses erschüttert. Im Interesse gegenwärtiger und künftiger Generationen müsste der Planfeststellungsbeschluss zurückgezogen und ein neues Prüfverfahren anberaumt werden.

Für den Salzstock Gorleben haben sich keine neuen Gründe ergeben, das Moratorium aufzuheben. Ganz im Gegenteil! Die Aussetzung der weiteren Erkundung des Salzstocks beruhte vorrangig auf geologischen Argumenten. Würde man (zum Teil lange bekannte) strahlenchemische und kernchemische Forschungsergebnisse über das Lagermedium Salz in die Bewertung mit einbeziehen, so würde sich die Favorisierung von Salzstöcken als völlig haltlos erweisen. Unzureichend oder gar nicht untersucht sind die unvermeidbare Bildung von explosiven Gasen, detonationsförmiger Zerfall, Korrosionsvorgänge unter Einfluss der Radioaktivität, das Auftreten von sehr reaktionsfähigen Hydratschmelzen um nur einiges zu nennen. Wer vor dieser ungelösten Problemlage von einer Eignung als Atommüllendlager spricht, ist entweder uninformiert oder verantwortungslos. WOLF BERTRAM, Wissenschaftlicher Beiratder Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad e.V.,Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von attac Deutschland

Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.