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Archiv-Artikel

Was bleibt, ist die Enttäuschung

Etwa 10.000 Menschen haben allein in Hamburg durch die Pleite der Lehman Brothers Geld verloren. Die Hamburger Sparkasse hat ihren Kunden erste Entschädigungszahlungen bewilligt – wer wie viel bekommt, bleibt aber unklar

von ROBIN RIEPRICH

Der kleine Seminarraum ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Etwa 40 Menschen sind in den Keller der Hamburger Verbraucherzentrale gekommen. Sie alle haben über eine Bank ein Zertifikat der insolventen Großbank „Lehman Brothers“ erworben. Bei fast allen der an diesem Donnerstagabend Anwesenden war die Bank die Hamburger Sparkasse (Haspa).

Die Gruppenberatungen für „Lehman-Geschädigte“ sind eine Reaktion auf die Beschwerden tausender Bankkunden, die sich seit der Pleite um ihre Geldanlagen sorgen. Die aufmunternd gemeinte Botschaft des Geschäftsführers der Verbraucherzentrale, Günter Hörmann: „Sie sind nicht allein.“

Die Verbraucherschützer vermuten, dass allein in Hamburg etwa 10.000 Anleger betroffen sind. Die Haspa hat bereits erklärt, Lehman-Zertifikate an 3.700 Anlagewillige verkauft zu haben; auch Kunden von Dresdner und Citibank sind betroffen.

Für viele, die im Keller nach Rat suchen, steht die Altersvorsorge auf dem Spiel. Für einige geht es nur um ein paar hundert Euro, es gibt aber auch Fälle, wo bis zu 80.000 Euro investiert wurden. Viele haben Briefe von ihren Banken dabei – mit schlechten Nachrichten: Das Geld, das diese Menschen angelegt haben, ist verloren.

Da aber die Banken die Zertifikate verkauft haben, stehen sie nun in der Schuld. Juristisch können jedoch nur Ansprüche geltend gemacht werden, wenn bewiesen werden kann, dass die betroffene Bank ihre Kunden falsch beraten hat.

Gefühlt ist das bei den meisten Anwesenden der Fall: Eine Haspa-Kundin sagt, die Zertifikate seien ihr telefonisch von einem Berater „regelrecht aufgeschwatzt“ worden. Andere berichten, sie hätten von den Risiken nichts gewusst. Eine Rentnerin erzählt, ihr Berater habe ihr versichert, das Geld sei „absolut sicher“ angelegt.

Ein Teil der Betroffenen hat erst vor wenigen Tagen erfahren, dass sie überhaupt ein Lehman-Zertifikat besitzen. „Ich habe mir nicht so viele Gedanken gemacht“, sagt ein 70-Jähriger. Er habe seiner Bank vertraut. Nun fordert er sein angelegtes Geld zurück – 25.000 Euro.

Die nächsten Treffen dieser Gruppenberatungen sind bereits ausgebucht. Ende November soll die Veranstaltung in eine ungleich größere Aula verlegt werden. Aber trotz des großen Andrangs könnte es sein, dass die Kunden zumindest im juristischen Sinne weiter alleinstehen. „Eine Sammelklage ist nicht möglich“, sagt Edda Castello von der Hamburger Verbraucherzentrale, die Fälle seien zu unterschiedlich. Die Kunden müssen selbst vor Gericht, wenn ihnen die Entschädigungen nicht hoch genug sind – oder sie gar keine zugesprochen bekommen. Für die nicht unerheblichen Kosten, die bei einer Niederlage entstehen können, müsste der Kunde selbst aufkommen, wenn er nicht zu Zeitpunkt des Anlagenerwerbs eine Rechtsschutzversicherung besaß.

Anwälte sind bereits auf den Zug um den Lehman-Ärger aufgesprungen: Einer der drei anwesenden Juristen erklärt, es sei ausschlaggebend für den Erfolg einer Forderung, ob die Kunden ihr schriftliches Einverständnis beim Kauf der Lehman-Zertifikate gegeben hätten. Bei telefonischen Beratungen sei dies oft nicht der Fall. Außerdem sei es von Vorteil, Bankgeschäfte nicht alleine zu erledigen, um Zeugen für mögliche Fehler zu haben.

Die Angestellten der Haspa bekommen neben dem festen Gehalt individuelle Zahlungen, die laut Haspa-Sprecherin Stefanie von Carlsburg von „Kundenzufriedenheit und Qualitätszielen“ abhängen. Dadurch werden die Mitarbeiter zu Freundlichkeit motiviert – aber auch zum Verkauf von Angeboten.

Während sich die Dresdner Bank und die Citibank bisher bedeckt halten, hat die Haspa einigen Kunden bereits Entschädigungen angeboten. Diese liegen vermutlich zwischen 50 und 80 Prozent der angelegten Summe. Einzelne Fälle sind bekannt, in denen die Abfindung bereits beschlossene Sache ist. Dies soll aber möglichst leise geschehen. Mit den Betroffenen vereinbarte die Sparkasse Stillschweigen.

Dass die Höhe der Entschädigung auch davon abhänge, ob der Kunde für künftige Geschäfte attraktiv ist, wie es der NDR gemeldet hatte, sei „Unsinn“, sagt Haspa-Sprecherin Carlsburg. Wirklich transparent ist der Entscheidungsprozess aber dennoch nicht: Carlsburg zufolge wird dabei die „Gesamtsituation des Kunden und das Beratungsgespräch“ beurteilt.

Bei der Beratung im Keller der Verbraucherzentrale will ein Ratsuchender endlich Konkretes hören: „Wie hoch sind denn nun die Chance etwas zurück zu kriegen?“ Das kann allerdings keiner so genau beantworten. Die Verbraucherschützer raten zum Abwarten: Die betroffenen Banken müssten die Fälle prüfen. Danach möglicherweise angebotene Entschädigungen „sollte man nicht blind annehmen“, sagt Edda Castello. Stattdessen sollte Kontakt mit Verbraucherschützern oder einem Anwalt aufgenommen werden. Keinesfalls dürfe man nicht sich mit zu wenig zufrieden geben. „Schließlich sollen die Banken die Suppe auslöffeln“, sagt Castello, „die sie den Kunden eingebrockt haben.“

Verunsicherung und Enttäuschung sind auch nach der Beratung groß. Eine Frau sagt, sie sei über 20 Jahre zufriedene Kundin bei der Haspa gewesen – nun fühle sie sich im Stich gelassen.

Die Sparkasse bemüht sich derweil um Image-Schadensbegrenzung. So wurden an Filialen Schilder angebracht: „Jetzt aber rein – Rettet die Mäuse“. In ihrer Werbung wird nun nicht mehr auf Risiko-Anlagen gesetzt – sondern wieder auf das gute alte Sparbuch.