„Broken Wings“ im 3001: Ein Interview mit Regisseur Nir Bergman
: Alltägliche kleine Katastrophen

taz hamburg: Herr Bergman, in Broken Wings wird eine Familie in die Krise gestürzt, weil der Vater an einem Bienenstich gestorben ist. Warum wollten Sie die Geschichte einer dysfunktionalen Familie erzählen?

Nir Bergman: Weil ich nur dysfunktionale Familien kenne. Am Anfang von Anna Karenina schreibt Tolstoi: „Jede glückliche Familie ist gleich, aber jede unglückliche Familie ist unterschiedlich.“ Also erzähle ich die Geschichte einer bestimmten dysfunktionalen Familie. Eine Gemeinsamkeit ist allerdings, dass deren Kinder sich mehr aufbürden müssen, als sie vertragen können. Sie haben Schuldgefühle, weil sie einfach nur leben und glücklich sein wollen. Man verlangt aber von ihnen, dass sie gefälligst die Eltern spielen sollen. Kinder leiden darunter, wenn sie sich reifer benehmen müssen, als für ihr Alter angemessen ist. Deshalb heißt der Film auch Broken Wings, weil sie zu viel auf ihren Schultern tragen müssen.

War Ihre eigene Familie auch so kaputt?

Ja. Meine Eltern haben sich getrennt, als ich zehn war. Als ich dieses Drehbuch schrieb, habe ich verstanden, dass ich meinen Vater emotional verloren habe. Die Trennung war nicht wie eine normale Trennung. Meine Familie fiel auseinander. Das im Film zu behandeln, hilft mir, mit dem wirklichen Leben klar zu kommen. Der Film ist eine Art Therapie für mich und auch für andere Familien, die Ähnliches durchmachen mussten.

Passieren im Film nicht etwas zu viele Katastrophen für eine einzige Familie?

Sie hatten eine große Katastrophe und mit der konnten sie nicht umgehen. Der Vater ist unter lächerlichen Umständen gestorben. Das wäre für jede Familie eine Tragödie. Weil diese Familie nun aber weiterleben muss, flüchtet sie sich in die alltäglichen kleinen Katastrophen, löscht mal ein kleines Feuer hier, mal eines dort. Aber sie gehen mit dem Verlust nicht wirklich um. Deshalb hilft ihnen die große neue Katastrophe, die sie nun durchleiden, sich dem endlich zu stellen.

Hatten Sie keine Angst, die Kinderdarsteller mit dem Thema emotional zu überfordern?

Sie sind alle Laien. Einige der Kinder sind im wirklichen Leben verwandt. Als der Film fertig gestellt war, haben wir erst gemerkt, dass alle Kinder die dort mitspielen, aus dysfunktionalen Familien stammen. Ich weiß nicht, wie das passiert ist.

Broken Wings spielt in Haifa. Ist die Stadt wirklich so trist, wie im Film dargestellt?

Haifa ist eine Hafenstadt der Mittelklasse. Sie wird in Israel auch die Arbeiterstadt genannt. Dort geht man früh zur Arbeit. Haifa ist nicht so sophisticated wie Tel Aviv, nicht so versnobt wie Jerusalem, sondern etwas grau, etwas provinziell. Von Haifa nach Tel Aviv zu gehen, bedeutet immer einen Kulturschock.

Wie fühlen Sie sich, als Filmemacher denselben Namen zu tragen wie Ihr illustrer schwedischer Kollege? Wurden Sie damit schon oft aufgezogen?

Seit der Filmhochschule bekomme ich Witze darüber zu hören. Wir machten Kurzfilme und die Schauspieler, bekannte israelische Stars, fragten mich: „Warum nennen dich die anderen immer Bergman? Ist das ein Witz darüber, dass du zu ernst bist?“ Aber ich bin ein großer Bewunderer von Ingmar Bergman. Er ist mein Lieblingsregisseur.

Fühlen Sie sich einer neuen Generation von israelischen Filmemachern zugehörig?

Das ist schwer zu sagen. Vielleicht weiß man das in ein paar Jahren, mit etwas mehr Abstand. Die Zuschauer in Israel haben Broken Wings zum Erfolg gemacht, genau wie davor den Film Late Wedding. Das israelische Publikum glaubt immer mehr an das israelische Kino. Wir messen uns mittlerweile mit den amerikanischen Spitzenfilmen. Das ist toll.

Den Konflikt mit den Palästinensern behandelt Broken Wings nicht. Stört es Sie, wenn Sie sich dafür rechtfertigen müssen?

Nur außerhalb Israels werde ich gefragt, warum ich nicht auf die politische Situation eingehe. Die Leute in Israel wissen, dass der Film auch eine sehr politische Aussage hat. Wir wollen uns auch mit uns selbst beschäftigen. Mit unseren Familien, unseren persönlichen Problemen. Ständig hören wir von unseren Eltern und Großeltern, dass das Land zuerst kommt. Unsere Generation leidet unter der Vernachlässigung des Privaten.

In welcher Reihenfolge setzen Sie Ihre Prioritäten?

Ich möchte die Familie an erste Stelle setzen. Denn mein Leben ist meine Familie. Dann kommt meine Gesellschaft und dann mein Land. Ich finde, uns sollte das auch erlaubt sein, wie Menschen in jedem anderen Land der Welt. Die Leute sind schockiert, dass der Vater im Film an einem Bienenstich stirbt und nicht im Krieg. Aber das ist auch ein Statement: Der Tod ist dumm. Ob du wegen eines dummen Krieges stirbst oder wegen eines dummen Bienenstichs: In beiden Fällen muss man sich mit dem Verlust auseinander setzen. Das ist die Aussage des Films und sie richtet sich an beide Seiten. An unsere Seite und an die arabische Seite. Wir wollen alle Normalität für dieses Land. Interview: Kira Taszman

täglich, 21 Uhr, 3001