: Als die Spießbürger mobilmachten
Verrostete Federn tauchen in die schwarze Bitternis ihres Herzens: In seiner brillanten Streitschrift „Kulturbolschewismus?“ hat Paul Renner 1932 die Strategien der Nazis analysiert, kulturelle Hegemonie zu erlangen. Die vergessene Studie ist nun als fotomechanischer Nachdruck wieder zugänglich
Nicht selten entpuppen sich Funde am Rande von Editionen als gewichtige Zeitdokumente. Auf Paul Renners Studie „Kulturbolschewismus?“ sind die Heidelberger Germanisten Roland Reuß und Peter Staengle wohl am Rande typografischer Recherchen im Zusammenhang mit ihren Kritischen Kleist- und Kafka-Ausgaben im Stroemfeld Verlag gestoßen.
Der 1878 in Wernigerode geborene Designer Paul Renner gilt als Pionier der Typografie und hat unter anderem die Schrift Futura entworfen. Dass er Anfang der Dreißigerjahre „nebenbei“ auch ein hellsichtiger Beobachter der heraufziehenden Nazidiktatur war und in einer Streitschrift den Kreuzzug kleiner Nazigrößen gegen die damalige Moderne analysierte, dürfte so gut wie nicht bekannt sein. Das hat Gründe. In seiner Studie analysiert Paul Renner auf etwas mehr als 60 Seiten, mit welchen kleingeistigen, der eigenen Karriere dienenden und argumentativ unhaltbaren Rassismen „in Ehren ergraute Regierungsbaumeister a. D. ihre verrostete Feder in die schwarze Bitternis ihres Herzens tauchen“ und denunzieren – zum Beispiel Mies van der Rohe und Gropius, die für das Neue Bauen der Weimarer Republik standen. Die Streitschrift trifft ins Zentrum der nationalsozialistischen Rassenhysterie und wurde Anfang 1932 direkt nach ihrem Erscheinen im Züricher Eugen Rentsch Verlag in Blättern wie dem Völkischen Beobachter heftig attackiert. Das Buch verschwand gleich wieder vom Markt. Fast die gesamte Auflage verblieb in der Schweiz. In deutschen Bibliotheken ist heute kaum ein Exemplar zu finden. Dass „Kulturbolschewismus?“ nun in Gestalt eines fotomechanischen Nachdrucks der Originalausgabe wieder zugänglich gemacht wird, ist insofern von großem Interesse, als sie zeigt, dass intellektuell wache Zeitgenossen schon sehr früh wissen konnten, mit welchen Mitteln die Nazis den völkischen Zug in Richtung Abgrund lenkten. Als eines der wichtigsten Beispiele führt Renner die Vorgänge um die Mannheimer Kunsthalle ins Feld. Dort hatte Kunsthallen-Direktor Gustav F. Hartlaub 1931 eine große Kokoschka-Retrospektive gezeigt, musste sich danach verleumderische Attacken gefallen lassen und wurde im März 1933 suspendiert. Wortführer der Kampagne war Otto Gebele von Waldstein, Ortsgruppenleiter der NSDAP und Vorkämpfer für eine „reinrassige deutsche Kultur“. Er beklagte, in Mannheim habe man wohl noch nichts von der Vielzahl deutscher Künstler gehört, die „himmelhoch über einem artfremden Kokoschka“ stehen, wegen mangelnder Aufträge aber auf der Straße sitzen würden.
Renner deckt die Strategien der Nazis auf und zeigt im Besonderen, dass der Begriff „Juda“ zunächst nur ein innenpolitischer Kampfbegriff zur Stigmatisierung unliebsamer Zeitgenossen war. In diesem Sinne wurden Kokoschka und Kunsthallen-Direktor Hartlaub wider besseres Wissen als nicht arisch denunziert. Und er zeigt, dass der Vorwurf, die Stadt Mannheim habe acht der Kokoschka-Bilder gekauft, völlig haltlos ist. Sein Argument: Das Mannheimer Stadtsäckel war – schon damals! – zu leer, um sich Derartiges leisten zu können.
Der Designer deckt versteckte Motive der Nazistrategien auf und macht das auch noch stilistisch brillant. Sein wichtigstes Argument: Feldzüge gegen die Moderne, wie die Nazis sie führten, dienen vor allem denen, die sie führen. Werden sie möglich, schlägt die Stunde aller von Ehrgeiz Zerfressenen und Minderbegabten, die Juden für eigene Misserfolge verantwortlich machen. Und: „Die Bastionen und Bollwerke, welche der Antisemitismus überall zu sehen glaubt, existieren nicht, und deshalb ist es ein so klägliches Schauspiel, wenn er gegen die Ausgeburten seiner eigenen panischen Angst Sturm läuft.“
Ein besonders auffälliges Beispiel dafür ist die Säuberungsaktion gegen die Bauhaus-Moderne. Vor allem in Weimar, so Renner, schüttelten die ältesten Eichen unter den deutschen Klassizisten heftig ihre knorrigen Äste. Aber auch in diesem Fall sei die Angst vor dem jüdischen Kulturbolschewismus lediglich ein Werbeargument, öffentliche und private Bauaufträge wieder in Richtung historisierender Eklektizisten fließen zu lassen. Als er das schrieb, war Renner 54 Jahre alt und kannte die Szene in Kunst und Architektur wie wohl kein anderer. Nur so ist zu erklären, dass er Zusammenhänge und Personenkonstellationen so hellsichtig analysierte.
JÜRGEN BERGER
Paul Renner: „Kulturbolschewismus?“ Herausgegeben von Roland Reuß und Peter Staengle. Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main 2003, 80 Seiten, 14 Euro