: Zu frische Fußspuren
Immer mehr New Yorkern ist unwohl dabei, dass schon drei Jahre nach dem 11. September ein Mahnmal gebaut werden soll
AUS NEW YORK SEBASTIAN MOLL
Viel Zeit hat man in Amerika nicht, schon gar nicht in New York. In der Stadt, die das Wort Neu in ihrem Namen trägt, ist man das Innehalten, das Zurückschauen nicht gewohnt und so unterlag die Suche nach einem angemessenen Denkmal für den 11. September demselben atemlosen Rhythmus, in dem sich die Stadt seit knapp 400 Jahren immer wieder neu erfindet. Dienstagnacht – nur etwas mehr als zwei Jahre nach den Terroranschlägen auf die USA – gab die Lower Manhattan Development Corporation, die den Wettbewerb ausgelobt und binnen sieben Monaten 5.201 Entwürfe erhalten hatte, nun den Sieger bekannt.
Das von einer 13-köpfigen Jury gekürte Design von „Reflecting Absence“ ist vor allem schlicht. Der aus Israel stammende New Yorker Architekt Michael Arad will die Grundrisse der Twin Towers, er nennt sie Fußabdrücke, in quadratische Pools verwandeln. Das Wasser, das an den Rändern entspringt, fließt jedoch in ein bodenloses Nichts. Die beiden Rechtecke liegen fast zehn Meter unter Niveau des Gehsteigs und sind entgegen dem Masterplan von Daniel Libeskind zur Straße hin durch ein Museumsgebäude abgeschirmt. Der solchermaßen abgeschlossene Innenhof, den die Namen der Opfer des 11. September auf Augenhöhe umsäumen, soll den Besucher kathedralenhaft aus dem Alltagsgeschehen herausziehen.
Im vergangenen November waren aus den über 5.000 Entwürfen acht Finalisten ausgesucht worden. Deren öffentliche Enthüllung im World Financial Center, gegenüber der gähnenden Grube des ehemaligen World Trade Centers, hatte beim Publikum für einstimmiges Entsetzen gesorgt. Ideen wie die „Memorial Cloud“, mit „vertikalen Lichtfeldern, die unsere gemeinsame Reaktion auf die Krise und unsere kumulative Stärke darstellen“, wie es in der Beschreibung heißt, oder der „Pool der Tränen“ in einem Entwurf namens „Suspending Memory“ wurden in der Öffentlichkeit einhellig als naiv und geschmacklos abgelehnt. „Alle Finalisten sind der Eitelkeit und Geschwätzigkeit schuldig“, kommentierte die Kolumnistin Cathy Ho in der Architecture Newspaper. „Vielleicht fühlen sich einige im Windschatten von Libeskind dazu genötigt. Aber das macht die Entwürfe nicht clever oder poetisch; es lässt sie bloß gezwungen wirken.“
Der New Yorker Karikaturist Art Spiegelman, der aus den Erinnerungen seines Vaters an das Warschauer Ghetto den Pulitzer-Preis-gekrönten Holocaust-Comic „MAUS“ schuf, wandt ein, es sei schlicht noch nicht der richtige Zeitpunkt, den Ereignissen des 11. September ein Denkmal zu widmen. Niemand auf der Welt wisse bislang, dieses Ereignis einzuordnen, geschweige denn zu historisieren. Der New Yorker Gouverneur George Pataki stimmte Spiegelman zu und forderte eine Denkpause. Die New York Times fand, der richtige Weg sei es, den ganzen Wettbewerb über den Haufen zu werfen und das Denkmal zu kommissionieren: „Heute schert sich ja auch niemand mehr darum, dass der Künstler der Sixtinischen Kapelle nicht in einem demokratischen Verfahren ausgesucht wurde.“
Doch mit diesen Stimmen war die öffentliche Debatte auch schon wieder beendet. Die Lower Manhattan Development Corporation, eine Körperschaft des Staates und der Stadt New York zur Wiederbelebung des Stadtviertels rund um das ehemalige Trade Center, wollte ein Ergebnis. Bis zum dritten Jahrestag des 11. September in diesem Jahr, so der ehrgeizige Plan, soll der Grundstein für die Neubebauung gelegt werden. Der Druck der Angehörigen, dass die Opfer ein sichtbares Andenken finden, ist ebenso groß wie der Druck des Grundstückseigners – der Fähr- und Tunnel-Gesellschaft Port Authority – und des Pächters Larry Silverstein, das Gelände wieder profitabel zu nutzen.
So entschied das Komitee hastig – das Ergebnis spricht mehr von Unsicherheit denn von Überzeugung. Der gewählte Entwurf ist unter den acht Finalisten der am wenigsten anstößige. Allerdings fließt bis zur Grundsteinlegung im kommenden September und gar bis zum Baubeginn noch viel Wasser den Hudson hinab. So hofft die New York Times, dass der Wettbewerb nur der Beginn einer öffentlichen Debatte war. Immerhin ist den New Yorkern, die immer nur nach vorne gelebt haben, über die bisherige Debatte schon bewusst geworden, dass sie das Zurückblicken mühsam lernen müssen.