„Weil Gott hat euch gewählt“, verkündet der Rabbiner

Der neue Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde heißt Albert Meyer – es war ein hartes Stück Arbeit, bis er gewählt war. Und wie immer gab es Chaos

Ruth Galinski ist da! Das sei sie ihrem „Mann schuldig“, sagt die 82-Jährige. Ihr Verstorbener leitete lange Jahre den Zentralrat der Juden in Deutschland und die Jüdische Gemeinde zu Berlin. Heinz Galinski: der Übervater der hiesigen Gemeinde, der größten der Bundesrepublik. An diesem Mittwochabend konstitutiert sich die Repräsentantenversammlung (RV), das Gemeindeparlament. Und ein neuer Vorsitzender wird hier im Festsaal des Gemeindezentrums an der Fasanenstraße gewählt.

„Ein neuer Anfang“, sagt Ruth Galinski. Seit fünf Jahren war sie nicht mehr bei Sitzungen der RV – völlig zu Recht. Ihr Mann war, vorsichtig gesagt, durchsetzungsfähig. Die RV-Sitzungen der vergangenen Jahre dagegen endeten meist in Chaos und Streit. Und zwar gern nach Mitternacht. Auch deshalb gab es vorgezogene Neuwahlen und, wegen einer Anfechtung, eine Wiederholungswahl im November. Dabei errang die liberale Gruppe Kadima um den Notar Albert Meyer eine 95-Prozent-Mehrheit. Ganz klar also, was an diesem Abend geschehen wird. Kadima hat 20 von 21 Sitzen.

Der Alterspräsident Hubert Combé eröffnet die Sitzung, bittet, aufzustehen für ein stilles Gedenken an Heinz Galinski. Alles wie immer. Doch dann bemerkt er mit Blick auf die Gegner der Septemberwahl, dass man nicht zu viel Pulver in eine Kanone stopfen sollte, wenn man denn glaube, damit auf Fliegen schießen zu müssen – das könne nämlich nach hinten losgehen. Erste Lacher im Saal. Seine Mitstreiter von Kadima ermahnt Combé überdeutlich, „ihre Übermacht nicht zu missbrauchen, um die Opposition völlig platt zu machen“. Alle lachen. Die Opposition besteht nur aus dem bisherigen Gemeindechef Alexander Brenner. Die Würde der Veranstaltung rutscht ab – ins Chaos einer Familienfeier.

Der orthodoxe Rabbiner Yitzchak Ehrenberg – weißer Bart, schwarzer Gehrock, jiddischer Duktus – soll eigentlich nur eine kurze Ansprache halten und ein Gebet sprechen, kann sich aber eine längliche Predigt nicht verkneifen. Immer wieder kippt sein Pathos um in Lächerlichkeit – etwa als er die Repräsentanten ermahnt, sie säßen hier, „weil Gott hat euch gewählt“. Unruhe im Saal. „Gott stimmt zu dieser Wahl“, versucht der Rabbiner sich zu verbessern. Aber man ist höflich zu Rabbinern. In einer der hinteren Reihen wird nur noch gelästert. Es wird nicht besser dadurch, dass der zweite Rabbiner Chaim Rozwaski in seiner Ansprache von einer „coronation“ spricht, einer Krönung.

Dann wird das verdiente alte Gemeindemitglied Sylva Franke mit überwältigender Kadima-Mehrheit zur Vorsitzenden der RV gewählt. In ihrer Ansprache erinnert die Hotelbesitzerin natürlich zunächst an Heinz Galinski. Sie sagt, sie glaube, „dass wir mit Albert Meyer den richtigen Wurf getan haben“. Dabei ist der noch gar nicht gewählt. So geht es weiter. Den größten Lacher des Abends landet sie mit der Aussage, man müsse alles dafür tun, dass „die Neueinwanderer bei uns intrigiert werden“. Sylva Franke ist sichtlich überfordert mit der Leitung der Sitzung („Ich bitte, jetzt Herrn Aizikovitsh zu wählen“), aber irgendwann ist es dann doch geschafft: Alle fünf Kadima-Kandidaten für den Vorstand der Gemeinde wurden mit 19 oder 20 Stimmen gewählt, unter ihnen neben Meyer der Historiker Julius Schoeps, der Leiter des Moses-Mendelssohn-Zentrums in Potsdam.

Der neu gewählte Vorstand zieht sich zur Wahl des Vorsitzenden zurück – so schnell geht das, dass die meisten Gemeindemitglieder noch außerhalb des Saals stehen, als Meyer seine Antrittsrede hält. Er erinnert an seine Eltern, die die Nazizeit in einem Versteck nahe Potsdam überlebten. Aber selbst diese dramatische Geschichte geht im allgemeinen Aufbruch praktisch unter. Meyer macht das Beste draus und fasst sich kurz. Ruth Galinski ist längst gegangen. Alles löst sich in Chaos auf. Es war wie immer bei RV-Sitzungen. Es war herrlich. PHILIPP GESSLER