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Archiv-Artikel

„Abfindungen sind auch ein Schutz“

Thomas Dieterich, ehemals Präsident des Bundesarbeitsgerichts, über die Angst der Arbeitgeber vor dem Kündigungsschutz, die Illusion sozial gerechter Entlassungen und Abfindungen, die auch schützen können: „Die Befürchtungen sind übertrieben“

Interview CHRISTIAN RATH

taz: Herr Dieterich, ist der Kündigungsschutz tatsächlich eine Beschäftigungsbremse?

Thomas Dieterich: Der Kündigungsschutz an sich wirkt weniger hemmend als die Angstvorstellungen, die die Arbeitgeber mit ihm verbinden. Aber auch psychologische Hemmnisse können Neueinstellungen verhindern.

Die Unternehmen beklagen langwierige Prozesse vor den Arbeitsgerichten, wenn sie Leute entlassen …

Zu Prozessen vor den Arbeitsgerichten kommt es nur in rund 10 Prozent aller Entlassungen. Aber es verbessert die Position des Arbeitnehmers natürlich auch in den übrigen Fällen, wenn er die Möglichkeit hat, eine Kündigung vor Gericht überprüfen zu lassen.

Was prüfen die Arbeitsgerichte eigentlich?

Bei verhaltens- oder personenbedingten Kündigungen geht es um konkrete und leicht überprüfbare Fragen: Kommt der Arbeitnehmer tatsächlich häufig zu spät, ist er wirklich ständig krank, wurde er bereits abgemahnt? Schwieriger ist es bei betriebsbedingten Kündigungen und der damit verbundenen Sozialauswahl. Hier hat das Gericht zunächst die unternehmerische Entscheidung zu akzeptieren. Das führt dazu, dass in der Praxis nur eine Willkür-Kontrolle durchgeführt wird.

Der Unternehmer muss also nicht seine Geschäftspläne en detail vor Gericht diskutieren?

Nein, derartige Befürchtungen sind völlig übertrieben. Aber natürlich fragen Richter mal nach, wenn ihnen etwas nicht einleuchtend vorkommt. Gerade die Inhaber von Kleinbetrieben, die viele Dinge ‚aus dem Bauch heraus‘ entscheiden, mögen diesen Zwang zur öffentlichen Rechtfertigung nicht.

Wie sieht die Sozialauswahl aus?

Es sollen diejenigen zuerst entlassen werden, die weniger schutzbedürftig sind. Hier geht es um Lebensalter, Unterhaltspflichten, aber auch um die Dauer der Betriebszugehörigkeit.

Manche Reformvorschläge, etwa von der CDU oder von Staatssekretär Schlauch (Grüne), wollen nun die Sozialauswahl durch eine Abfindungsregelung ersetzen oder ergänzen. Was ist der Vorteil?

Bei einer Abfindungsregelung wäre die Kündigung einfacher und schneller. Der Arbeitgeber könnte im Gesetz sehen, welche Abfindung zu bezahlen ist, die Gerichte würden kontrollieren, dass das Geld tatsächlich fließt. Dabei müsste der Gesetzgeber die Höhe der Abfindung an soziale Kriterien wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit koppeln.

Dann werden aber wohl trotzdem die älteren Mitarbeiter zuerst gekündigt und es blieben die jungen und flexiblen zurück, obwohl diese viel leichter einen neuen Arbeitsplatz finden könnten …

Es ist heute ja nicht völlig anders. Wer als Arbeitgeber entgegen der Sozialauswahl kündigt, zahlt am Ende meist auch nur eine Abfindung, denn die Gekündigten wollen dann oft nicht mehr in den Betrieb zurück.

Bisher sind in etwa zehn Prozent der Fälle Abfindungen zu zahlen, künftig wäre das der Regelfall. Da kommen auf die Unternehmen neue Kosten zu, und zwar nicht zuletzt auf kriselnde Betriebe …

Wenn das Unternehmen in Not ist, müssen Abfindungen niedriger ausfallen. Da könnte der Gesetzgeber eine entsprechende Regelung vorsehen.

Bleibt vom Kündigungsschutz, dem Stolz der deutschen Arbeiterbewegung, dann nur noch eine Handvoll Euro?

Nein. Verhaltens- und personenbedingte Kündigungen könnten wie bisher vor Gericht überprüft werden – und diese Kündigungsarten würden zunehmen, weil sie keine Abfindung kosten. Außerdem ist auch die Abfindungslösung bei betriebsbedingten Kündigungen ein durchaus wirksames Schutzkonzept.