Trivial ist besser
Mitten im Leben eines Mannes: „Lese-Stoff“, Jörg Fausers versammelte Essays zur Literatur
„Der Schriftsteller ist kein trotziger Außenseiter, er will teilhaben, denn nur woran er teilhat, darüber kann er mit Fug und Recht schreiben“, sagte Jörg Fauser in einem Interview 1985, zwei Jahre bevor er im Alter von 43 Jahren bei einem tödlichen Unfall von einem Lastwagen überrollt wurde. Fauser nahm teil an dem, worüber er schrieb. Er brach sein Studium ab, jobbte als Flughafenarbeiter, Nachtwächter und Aushilfsangestellter, tingelte durch Europa, hing mehrere Jahre an der Nadel und ließ diese Erfahrungen möglichst ungeschminkt in seine autobiografisch gefärbten Romane einfließen. Er wollte kein Künstler sein, die Dinge nicht verfremdet und „literarisch“ wiedergeben, sondern genau so aufschreiben, wie er sie auch selbst erlebt hatte. Deswegen verachtete er etwa auch die seiner Meinung nach viel zu artifizielle englische Krimischule mit ihren Morden in Herrschaftshäusern und einem Detektiv, der den Fall beim Nachmittagstee löst. Wirkliche Krimis waren für ihn die von Chandler und Hammett, in denen echte und harte Kerls das echte und harte Leben schmecken müssen und auch mal eins auf die Schnauze bekommen, bevor sie den Fall lösen.
Diese Einschätzungen finden sich in einem Buch namens „Lese-Stoff“, in dem Fausers Essays über Literatur versammelt sind und das neben seinen Romanen „Schlangenmaul“ und „Schneemann“ das derzeit einzige erhältliche Buch mit Fauser-Texten ist – die 1990 bei Zweitausendeins erschienene, von Carl Weissner herausgegebene und unschlagbare Fauser-Gesamtausgabe ist leider vergriffen.
Es ist erstaunlich, wie die Literaturbetrachtungen Fausers, der vom deutschen Literaturbetrieb bis heute weit weniger beachtet wird als vergleichbare Prä-Popliteraten – etwa Rolf Dieter Brinkmann oder Hubert Fichte – immer noch zünden. Seine Art, Heinrich Böll und Co. als typisch deutsche Literatenspießer niederzuschreiben und sich stattdessen in liebevoller Weise vermeintlichem Pulp, Schund oder verkannten Genies zu widmen, begeistert heute noch ungemein.
Fauser wollte selbst kein Außenseiter sein. Er machte sich aber stark für diejenigen, die dies im Sinne der Hochkultur schon immer waren und zum Großteil immer noch sind. Deutsche Literaturkanons kommen nicht ohne Thomas Mann aus, aber sicher ohne Erich Loest und Hans Fallada. Fausers privater Kanon kennt dafür keinen Thomas Mann – um in ihn aufgenommen zu werden, musste man mindestens Alkoholiker wie Joseph Roth oder Morphinist wie Fallada gewesen sein.
Doch Fausers eigentliche Liebe galt vor allem der amerikanischen Literatur. „Ich bin ein Kind der amerikanischen Freiheit – ich wünsche Amerikas Politik zum Teufel und liebe seine Literatur“, schrieb er einmal. Jack Kerouac, Charles Bukowski, Ernest Hemingway waren seine Helden, denen er in seinen Essays zur Literatur ein Pantheon baut. Allesamt Männer – wie seine Romane blenden auch Fausers literarische Vorlieben Frauen weitestgehend aus; die Männerwelt, „das ist die einzige Welt, die ich kenne“, sagte er einmal.
So verschwiemelt derartige Äußerungen heute rüberkommen, so befreiend wirkt Fausers Eifern gegen den etablierten Literaturbetrieb und für die so genannte Trivialliteratur immer noch. Wenn Stephen King einen Literaturpreis erhält, muss er sich auch heute noch gegen den Vorwurf verteidigen, seine Bücher seien keine richtige Literatur. Fauser aber weiß, „dass die so genannte Trivialliteratur oft ein besseres Verständnis für die Welt, mit der wir es zu tun haben, erschließen kann als so manche Belletristik.“
ANDREAS HARTMANN
Jörg Fauser: „Lese-Stoff“, Verlag Neue Kritik, Frankfurt/Main 2003, 232 Seiten, 19 Euro 50