: Die Suche nach Schönheit
Österreichs Weine boomen. Abseits des Mainstreams entstehen im Burgenland unverwechselbare Tropfen wie die roten Moric-Weine. Sie entstehen aus der alten pannonischen Rebsorte Blaufränkisch
VON TILL DAVID EHRLICH
Vor 15 Jahren brachte Glykol im Wein Österreichs Weinbau in Verruf. Plötzlich stand der österreichische Weinbau vor dem Abgrund. Die Winzer konnten ihre Weine nicht mehr verkaufen. Ein radikaler und ehrlicher Neubeginn war der einzige Ausweg aus der Krise. Er hat das Land heute qualitativ an die Weltspitze des Weinbaus gebracht. Zahlreiche Winzer haben der Standardisierung und Massenproduktion den Rücken gekehrt und setzen erfolgreich auf biologischen und naturnahen Weinbau. Das Ergebnis sind oft individuelle und äußerst authentische Weine. Nur in wenigen Weinregionen der Welt wird momentan so konsequent um Spitzenqualität gerungen wie in Österreich. Das einstige Schmuddelkind ist ein Vorbild geworden. Neben den etablierten und international anerkannten Weingebieten wie der Wachau oder der Steiermark sorgt vor allem das Burgenland in letzter Zeit für Furore.
Sanft, hügelig und vergessen wirkt das Burgenland, unweit der ungarischen Grenze. Ein dünn besiedeltes und strukturschwaches Grenzland im äußersten Westen Österreichs. Es liegt südöstlich von Wien, eine knappe Autostunde entfernt. Hier wirkt die Alpenrepublik anders und ärmer als in den touristischen Bergregionen. Es gibt weder Jodelkitsch noch Almhütten. Der spröde Landstrich ist seit Jahrhunderten von der pannonischen Kultur geprägt worden. Bis zum Verfall der Monarchie 1918 gehörte das Burgenland zur ungarisch verwalteten Reichshälfte. Sopron, einzige Stadt der Region, kam zu Ungarn, das Burgenland war über Nacht ein Rumpfland ohne bürgerliches Zentrum. Noch heute gilt das Burgenland als „jüngstes“ Bundesland.
Die ungarische Verwurzelung kann man da deutlich spüren und auch schmecken. Seit Jahrhunderten ist die Alltagsküche von Paprika und Mais geprägt. Auch die Weine kön- nen ihre ungarischen Einflüsse nicht leugnen. Das Klima ist heiß, die Trauben reifen hier voll aus. Hinzu kommen oft karge und mineralische Böden, die den Trauben einen authentischen Geschmack aufdrücken. Das Ergebnis sind Weine, die einen spröden Charme und eine Wucht aufweisen, wie man es in anderen österreichischen Weingebieten so nicht findet. In den letzten fünfzehn Jahren gibt es hier immer mehr Win- zer, die das Potenzial vor ihrer Haustür erkennen und ausschöpfen.
Das burgenländische Rebland ist klein, umfasst einen Radius von gerade 30 bis 40 Kilometern. Trotzdem gibt es hier auf engem Raum eine große Vielfalt an unterschiedlichen Weinen, die nicht nur Rotweine, sondern auch Weiß- und Süßweine umfasst. In jedem Bereich sind hier Weltklassequalitäten möglich. Alle drei bis vier Kilometer gibt es ein anderes Mikroklima, das wiederum die Weinqualität beeinflusst und so sehr unterschiedliche und vielfältige Weine auf kleinstem Raum hervorbringt.
Aber um das Potenzial der Natur auszuschöpfen, gehört ein Winzer, der es erkennt und bestrebt ist, die geschmackliche Einzigartigkeit seiner Trauben so unverfälscht wie möglich zu erhalten. Erst wenn im Glas die Besonderheit eines Weinberges schmeckbar ist, kann man von einem authentischen Wein sprechen. Ein Pionier par excellence auf diesem Gebiet ist Roland Velich aus dem Weinort Apetlon am Neusiedlersee. Der 40-Jährige hat bereits vor zehn Jahren mit Chardonnay international Aufsehen erregt. Der Erfolg kam schnell, trotzdem ging Roland Velich seinen Weg weiter, ruhte sich nicht auf dem Erreichten aus. In den letzten Jahren wurden seine Weine immer eigenständiger und kompromissloser. Vor drei Jahren hat er das Projekt „Moric“ ins Leben gerufen. Er betreibt es zusammen mit dem 35-jährigen Winzerkollegen Erich Krutzler aus dem burgenländischen Ort Deutsch-Schützen.
„Moric“ ist ein Fantasiename, der jedoch einen ungarischen Klang hat. Die beiden Winzer suchen sich im Burgenland und in Ungarn Weinberge, deren bislang schlummerndes Potenzial sie wach küssen wollen. Die beiden kaufen die Weingärten nicht, wollen keine Grundstücke erwerben. Es geht ihnen um Zusammenarbeit mit den ortsansässigen Winzern. Aber Velich und Krutzler machen strenge Vorgaben, was die Pflege der Reben und die Traubenqualität betrifft.
Der burgenländische Rotweinboom wirft auch Schatten. Viele Winzer versuchen mit internationalen Modesorten wie Cabernet Sauvignon, Merlot und Syrah (Shiraz) alkohollastige und fruchtbetonteWeine im Stil von Bordeaux oder der Toskana herzustellen. Die Moric-Weine stehen im Gegensatz zu dieser Mode. Sie kommen leise daher, sind subtil und komplex. Die roten Moric-Weine entstehen ausschließlich aus der alten pannonischen Rebsorte Blaufränkisch. „Wir suchen unsere Identität im Weinbau“, sagt Roland Velich, „wir wollen keine internationalen Superweine kopieren.“ Der „Plateau Lutzmannsburg“ etwa ist ein saftiger Moric-Rotwein aus der Sorte Blaufränkisch. Die Trauben kommen aus einem sehr alten Weingarten im burgenländischen Ort Lutzmannsburg. Die Reben sind teilweise über hundert Jahre alt. Die Weine reifen nicht in modischen Barriques, sondern in großen, traditionellen Holzfässern. Das Ergebnis sind Weine, die den Charakter ihres Bodens ausdrücken. Salzig, ja rauchig duften sie. Entfalten im Mund Tiefe und Kremigkeit. Vermitteln eine Ahnung von Schönheit, die nicht glatt, sondern gebrochen ist. Und deshalb berührt. Sie sind beseelt, verkörpern daher das Gegenteil eines marketinggerechten Industrieweines. „Wir sind sterblich, wo wir lieblos sind“, hat der Philosoph Karl Jaspers gesagt, „unsterblich, wo wir lieben.“
Moric-Weine sind erhältlich bei „Weinhandel Weinstein“, Saarbrücker Str. 20/21, 10405 Berlin, Tel. (030) 44 05 06 55, Fax: (0 30) 4 41 18 43.