: Musik als Erlebnis
Kompromisslosigkeit auf wie hinter der Bühne: „Tisch 5“, angeblich Hamburgs einzige Free Jazz-Band, gibt im Linken Laden einen ihrer raren Auftritte
Als Ornette Coleman 1960/61 eine Kollektiv-Improvisation unter dem programmatischen Titel Free Jazz veröffentlichte, wurde das auch diesseits des Atlantiks durchaus als Aufforderung verstanden. Die Adepten des europäischen Jazz befreiten ihre Musik von der Bindung an vorgeschriebene Melodien oder die Rhythmen des amerikanischen Vorbilds. Stattdessen eroberten sie Freiräume der Improvisation, die sich in gegenseitiger Aufmerksamkeit und Interaktion bilden ließen. Mögen sich auch in seiner Formsprache gewisse Konventionen ausgebildet haben (und es mit der Freiheit also nicht mehr so weit her sein): Bis heute hat sich der Free Jazz als Musik bewährt, deren Unmittelbarkeit heftige Emotionen auslöst, eine Musik mit einzigartigem Erlebnis-Charakter.
Die Hamburger Besetzung Tisch 5 wird häufig „die einzige Free Jazz Band“ der Hansestadt genannt, und das nicht nur aus stilistischen Gründen. Tatsächlich stehen die Musiker – Schlagzeuger Rolf Ernst, Saxophonist Rolf Pifnitzka, Bassist Stephan Kersting und Hans-Martin Gutmann am Klavier – der explosiven Urkraft des Free Jazz der 60er Jahre sehr nahe, können allerdings auch ihre Geschichte mit der Rockmusik dieser Jahre nicht verbergen.
Dass sie ihre Musik als frei verstehen, bedeutet weniger eine stilistische Verortung als vielmehr ein Statement zur Kompromisslosigkeit auf und hinter der Bühne. Tisch 5 ist eines der wenigen Ensembles, die keinen Jazzinitativen oder -vereinen zugeordnet werden können. Entsprechend rar sind ihre Möglichkeiten für Auftritte, die in den einschlägigen Clubs ohnehin meist dem mainstreamigeren Jazz vorbehalten sind.
Doch Hamburg wäre keine Großstadt (und lauter denn je erschallt ja derzeit der Ruf nach Weltgeltung) , wenn es nicht auch für unkonventionelle Musiker (und Musikerinnen!) ein Publikum gäbe. Seit etwa einem Jahr werden jeweils am 2. und 4. Freitag des Monats im Linken Laden am Kleinen Schäferkamp Abende unter dem Motto „FREItags MUSIK statt Kneipe“ veranstaltet. Bei, tja, freiem Eintritt treten hier improvisierende MusikerInnen aus der so genannten freien Szene auf, in eher wohnzimmerartigem Ambiente. Interessierte ZuhörerInnen sind eingeladen, bei Gefallen geht ein Hut herum, die Neugier auf bisher Ungehörtes wird hier mit einem niedrigschwelligen Angebot geweckt.
Den Free Jazzern von Tisch 5, die an diesem Freitag dort spielen, sind solche nachbarschaftlichen Strukturen lieb und gut bekannt. Ihre erste LP Bulletin erschien 1990 beim Indie-Label Buback Records, das damals noch in der Hafenstraße angesiedelt war und auch nach 15 Jahren und einigem Erfolg mit HipHop-Acts stolz auf die Free Jazz-Veröffentlichung im Katalog verweist. Ihre folgenden Alben verlegten Tisch 5 als CDs selbst – in Kleinst-Auflagen, die in keinem Verhältnis zur Qualität der Musik oder der Produktionen stehen. Hier warten unter anderem Aufnahmen mit dem russischen Trompeter Slava Guyvornosky noch auf interessierte HörerInnen, am besten fragt man am Freitag mal nach bei den Herausgebern.
In erster Linie aber ist Tisch 5 natürlich eine spannende Live-Band, deren Auftritte immer wieder enorme Dynamik zwischen kaum hörbaren Geräuschen und expressivem Powerplay entwickeln – Musik als Erlebnis, das Ohren, Herz und nicht zuletzt Hirn freipusten kann. Tobias Richtsteig
Freitag, 20.30 Uhr, Linker Laden (Kl. Schäferkamp 46), Eintritt frei