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Archiv-Artikel

Kleine Apokalypse

Delirierende Leichenfledderer, die wissen, was sie tun: „Rebel, Rebel“ und „Das Begräbnis“ beim Kampnagel-Festival „Ausser Atem“

von caroline mansfeld

Es war die Stunde der jungen Wilden. Das Theaternachwuchsfestival „Ausser Atem“ auf Kampnagel bereitete am Wochenende seinem Namen alle Ehre und ließ jugendlicher Inszenierungslust freien Lauf. Auch für den zweiten Festivaltag lautete das Gebot: Filmstoffe, eigener Text, eigenes Ensemble und geringes Budget.

Sebastian Schug, im vierten Jahr Regiestudent an der Berliner Ernst-Busch-Schule, nahm sich mit Rebel, Rebel, komponiert frei nach dem Film Denn sie wissen nicht, was sie tun, den Urtyp des 50er-Jahre-Rebellenfilms vor. Nur dass er hier nicht den Mythos Jimmy Dean in den Mittelpunkt rückt, sondern die Inszenierung um dessen Außenseiter-Freund Plato aufbaut. Der erfährt außer väterlichen Schecks per Post kaum elterliche Zuwendung. Und findet in Jimmy einen Vaterersatz. Schug verquickt den Stoff mit Kultautor J. T. Leroys Roman Jeremiah. Und wie Leroy selbst und seine autobiographisch gefärbten Figuren, muss auch Plato sich hier für seine billig aufgemachte Mutter, die Trucker-Prostituierte Sarah (Oana Solomon), mit seiner spermabefleckten Unterhose in einen Babydoll zwängen und mit rot geschminktem Lolitamund seinen schlaksigen Körper anbieten.

Die Inszenierung reflektiert die seltsame Liebe dieser zutiefst beschädigten Frau zu ihrem verstörten Sohn Plato (Jan Thümer), den sie „Engelchen“ nennt. Plato flüchtet aus dem verkorksten Elternhaus in eine bizarre Homosexualität zu Jimmy (Hyun Wanner), der eine perfekte James Dean-Imitation abgibt. Leider weidet sich die Inszenierung allzu sehr an eruptiv ausbrechender Gewalt vor dem zur kalten Betonkulisse umfunktionierten Einheitsbühnenbild von Esther Bialas. Und arbeitet sich dazwischen an sämtlichen sexuellen Orientierungen und Stellungen ab. Plato verkauft sich an Bandenchef Jackson (Alexander Schröder), bevor er von seiner Mutter in einer albtraumhaften Sequenz „kastriert“ wird. Doch trotz aller Effektfreude schlägt Schug auch leise Töne an, schafft Augenblicke der Stille, in denen die Seelenzustände seiner Figuren zu ahnen sind. Und die seiner fragmentarischen Arbeit zu mehr Geschlossenheit verhelfen.

Noch weiter von ihrer Vorlage, dem Familiendrama Das Fest des „Dogma“-Regisseurs Thomas Vinterberg, hat sich Nora Somaini gelöst. Die Hamburgerin ist keine Unbekannte mehr und hat bereits beim „Junge Hunde“-Festival und am Thalia in der Gaußstraße inszeniert. In Das Begräbnis versammelt sie eine Schar Trauergäste um einen Tisch in einem miefigen Kleinbürger-Restaurant. Anlass ist die gemeinsame Trauer um den zwielichtigen Dozenten Manfred, der nach der Wende verdächtig aalglatt von Ost- nach Westdeutschland gewechselt ist. Der Leichenschmaus verkommt schnell zur Farce. Die Erinnerung an den Verblichenen zerrt die dunkelsten Seiten der Trauergesellschaft ans Licht. Erwin (Sven Tjaben) pinkelt ans Tischbein und versucht Manfreds letzte Frau Ingrida (Natascha Bub) von hinten zu nehmen. Manfreds Bruder Wolfgang (Henry Meyer) säuft und schimpft sich um Kopf und Kragen – und erbt am Ende alles. Und die Ex-Geliebte Gertrude (Petra Wolf) ist in zwanzigjähriger Trauer um den Geliebten erstarrt. Da wird munter gesoffen, ein Dosenmenü verspeist und in erbitterten Kleinkriegen verharrt.

Somaini hat die Charaktere mittels szenischer Improvisationen nach Strassberg gemeinsam mit Drehbuchautor Luke McBain entwickelt. Ihre spleenigen Figuren mit ihrem auf Manfred projizierten Selbsthass sorgen für viele Lacher im Publikum. An dieser oder jener Stelle hätten sie noch eine Steigerung vertragen. Das herrlich apokalyptische Schlussbild der versoffenen Leichenfledderer bleibt auch so schlüssig.

nächste Vorstellungen: Rebel, Rebel: 17.1., 19.30 Uhr. Das Begräbnis: 16.1., 19.30 Uhr, Kampnagel