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Archiv-Artikel

Spaß-Guerilla macht Gymnastik

Johnny Knoxville hat mit „Jackass“ eine Show für MTV geschaffen, in der sich junge Männer freiwillig Verletzungen zufügen – weil der Körper die Extremform von Party ist. Jetzt gibt es die Selbstkasteiungen gegen ein Wohlstandsleben auch als Kinofilm

Niemand kann ihnen den Schmerz diktieren, darum ist er auch so befreiend

von ANDREAS BUSCHE

Eine kurze Szenenabfolge in willkürlicher Reihung: 1. Ein Mann wird mit einem ans Bein gebundenen, blutigen Stück Fleisch an einer Seilwinde über einem Aligatorbecken heruntergelassen. Die Tiere riechen den Köder und versuchen nach der Beute zu schnappen. Irgendwann erwischen sie das Fleisch – und das Bein des Opfers. Der fällt schließlich ins Wasser und muss fliehen. 2. Eine Gruppe gut gelaunter junger Männer sitzt in einer Sushibar und zieht sich Wasabi-Portionen durch die Nase rein. Höhepunkt ist, wenn einer schließlich in die Kamera kotzt. 3. Dieselbe gut gelaunte Gruppe junger Männer zündet eine Feuerwerksrakete im Arsch eines Freiwilligen. Dasselbe passiert gleich darauf nochmal mit den Genitalien. 4. Johnny Knoxville, „Mr. Jackass“ höchstpersönlich, macht seine Brust frei und lässt sich aus nächster Nähe mehrmals mit einer Anti-Riot-Waffe beschießen, bis ihm die Tränen kommen. Einige Tage später sitzt er wieder vor der Kamera und zeigt seine Blutergüsse, die inzwischen zu respektabler Größe angewachsen sind und eine beachtliche Farbskala abdecken. Er freut sich.

Verletzungen ohne Trauma: Was jedem Amerikaner heute wie ein utopischer Zustand vorkommen muss, praktiziert in „Jackass: The Movie“ ein Haufen Berufsjugendlicher als Akt ultimativer Selbstermächtigung. Es ist ein Schmerz, den ihnen niemand nehmen oder auch keine Regierung diktieren kann; der nur ihnen gehört – darum ist er in letzter Konsequenz auch so befreiend. Und darum muss man ihn vor der Kamera so pornografisch ausstellen.

Das Phantasma körperlicher Unversehrtheit ist ihr eigentliches Trauma, und so wird die Verletzung des eigenen Körpers zum spektakulären Protest gegen die Taubheit der Gesellschaft. Dieses Verhalten ist mit den gesellschaftlichen Vorstellungen kaum noch vereinbar. Schon deshalb bleibt der Öffentlichkeit keine andere Wahl, als das Spektakel entweder als pubertär (und damit als noch sozial formbar) oder in diffamierender Weise schlicht als krank abzukanzeln. Das eigentlich Befreiende der „Jackass“-Methode ist, dass sie sich ethischen Wertekategorien entzieht, weil sich die verspielte Aggression längst gegen den eigenen Körper gerichtet hat. Der Bruch mit einem moralischen Konsens liegt allenfalls noch in der Sichtbarmachung dieser eher privaten Praktiken von Autoaggression. Der Körper ist die Party!

Vielleicht musste „Jackass“ wirklich erst als 87-minütige Vollversion in die Kinos kommen, um den wahren Sinn seiner Existenz zu offenbaren. Als MTV 1999 das Konzept einer Reality-Stunt-Show in Auftrag gab, hätte wohl niemand absehen können, wie sehr man mit dieser Idee den Nerv der MTV-Generation getroffen hatte. Sadismus und Masochismus sind natürlich nicht erst seit gestern eine Begleiterscheinung der medialen Unterhaltungskultur, angefangen von der „Gong Show“ in den 70er-Jahren über die kulturspezifisch verschärfte Form japanischer Brutalo-Gameshows (Takeshi Kitanos Adventure Show „Takeshis Castle“ war da lediglich eine softe Variante) bis hin zum „Reality TV“-Boom im Fernsehen Mitte der 90er.

Was Johnny Knoxville & Co (der Vollständigkeit halber: Bam Margera, Chris Pontius, Steve-O, Dave England, Ryan Dunn, Jason „Wee Man“ Acuña, Preston Lacy and Ehren McGhehey) in „Jackass“ veranstalteten, übertraf jedoch alles, was in den Jahrzehnten zuvor immer wieder als „Untergang der Fernsehkultur“ prophezeit worden war. Die Zurschaustellung von Selbstverstümmelungen, Extrem-Stunts, Fäkalhumor und entwürdigende Situationskomik als bloße Nummernrevue ist kalkuliertes Antifernsehen par excellence. Der Aufschrei von Jugendschützern konnte dabei von MTV immer erfolgreich abgewiegelt werden, denn „Jackass“ ist kein Brainchild cleverer Jugendkulturindustriemanager oder ein bizarres Nebenprodukt von „Reality TV“, sondern es hatte sich selbst aus einer eher harmlosen Jugendkultur heraus entwickelt: der Skateboard-Szene.

Aber auch wenn „Jackass“ lange nur als subkulturelles, szenisch kodiertes Phänomen verstanden wurde, zeigt der Erfolg der Serie und des Films in Amerika (in den USA verdrängte „Jackass: The Movie“ die zweite „Star Wars“-Episode von der Spitze der Box-Office-Charts), auf welch breites Verständnis der Humor – oder „Humor“? – von Knoxville & Co inzwischen trifft. Die Keimzelle dieses Phänomens liegt in den Skatevideos von CKY (Camp Kill Yourself), einer kalifornischen Skatepunk-Band, in der der Bruder von „Jackass“-Mitinitiator Bam Margera irgendein Instrument hielt. Margera, ein professioneller Skater, hatte in der Szene durch seine halsbrecherischen Stunts bereits einen Namen, und das Franchise von schnellem Hardcore und brutalsten Skate-Unfällen stellte sich als so brilliante Marketingstrategie heraus (diese Art von Skate-Compilations erfreuen sich in den USA ähnlich großer Beliebtheit wie „Crash Car“- und „Monster Truck“-Videos), dass erst zwei Skatevideos und später die Idee einer MTV-Show folgten. Für „Jackass“ musste das Schema der CKY-Videos nur geringfügig überarbeitet werden. Selbiges gilt jetzt für den Kinofilm.

Das Konzept ist so einfach wie ökonomisch, und vielleicht hat „Jackass“ sogar die Bilder, nach denen die „Dogma“-Filme immer gesucht haben, in höchster Vollendung. Im Kino entfaltet sich die Lust an der Redundanz und Sinnlosigkeit auch erst zu großer Konzeptkunst. Als Kinoversion ist „Jackass“ formal so radikal wie man es auf der großen Leinwand bisher selten gesehen hat: neun Personen (nicht zu verwechseln mit Charakteren), null Handlung, keine künstliche Dramaturgie (natürliches Licht), filmisch gegen jede Regel und umgeben von einer Aura der Unverfälschtheit.

Man könnte „Jackass: The Movie“ leicht für eine Zumutung halten, aber zugleich lässt sich auch etwas Symptomatisches in der Existenz des Films erkennen. Jenseits einer Wertigkeit von Zeit und (Film-)Material manifestiert sich in der Kinoversion die Antithese zum neoliberalen Paradigma der Effizienz. Hemmungslose Ressourcenverschwendung verweist in einem, will man „Jackass“ dieses unterstellen, konzeptualen Rahmen auf klassisches Art-Prankstertum, etwa die Geldverbrennung durch die Popgruppe KLF Anfang der 90er. Hier schließt sich der Kreis zu den CKY-Videos, auf denen das Repertoire früh von absichtlich herbeigeführten Skatecrashs zu Prank Calls und ähnlichen Streichen erweitert wurde.

Henri Bergson beschrieb 1901 in „Das Lachen“ Komik als einen mechanischen Prozess. Er entstehe aus einer Mechanisierung des Lebens; gleichzeitig funktioniere ein Witz nach gewissen Schemata, die er nur geringfügig variiere. Aufbauend auf Bergson (und ihn letztlich widerlegend) schrieb der holländische Soziologe Anton C. Zijderveld Anfang der 80er, dass Humor utopische Qualitäten besäße, er wäre im Gegenteil „something living in something (institutionally) mechanical“. Im Verhältnis von Bergson und Zijderveld lässt sich zumindest ein wenig auch das Spezifische des „Jackass“-Humors bestimmen. Innerhalb einer schematischen Komiksituation ist die Unvorhersehbarkeit, mit der Knoxville & Co in den öffentlichen Raum eindringen, ihr erratisches Verhalten, eine Art utopisches Moment: „something living“. Die permanent eingeworfene Warnung „Do not attempt this at home“ dient in diesem Zusammenhang als Zertifikat einer „Dogma“-ähnlichen Unmittelbarkeit.

Noch faszinierender ist „Jackass: The Movie“ allerdings als sozialdemografisches Phänomen. „Jackass“ ist ein hermetischer Raum, dessen soziale Ordnung keinerlei repräsentativen Anspruch mehr hat. Schwarze, Hispanos und andere amerikanische Ethnien kommen in den Streichen genauso wenig vor wie Frauen. Dieser südkalifornische Mikrokosmos weißer, männlicher, heterosexueller Vorstadtjungs funktioniert außerhalb jeglicher Erklärungsmuster – weder psychologischer noch historischer oder „künstlerischer“. Das macht das Konzept so unangreifbar. Die Erniedrigungen und Unterwerfungen richten sich hier nicht mehr gegen Minderheiten, sondern – wie in einem Akt der Selbstkasteiung für das eigene, mediokre Mittelklasseleben – nur noch gegen sich selbst.

Die Freiheiten, die sich daraus für Knoxville und seine Posse ergeben, sind unglaublich. Die peinigende – und auf einem pervertierten Niveau nicht einmal unoriginelle – Langweile erstreckt sich in eine Öffentlichkeit, die auf solcherlei normwidrige Ausbrüche keine Antworten und Maßregelungen mehr kennt. Schmerz ist hier nur noch Hervorbringung von „zu viel Zeit“ (die man ja irgendwie totschlagen muss) und die Entfremdung von alltäglichen, mal mehr, mal weniger überflüssigen Konsumprodukten. So wird in „Jackass: The Movie“ ein Spielzeugauto anal eingeführt, es gibt Disziplinen wie „Ventilator-Hochsprung“, „Sweaty Fat Fucks“ und „Offroad-Tätowieren“ – Tätowieren im Geländewagen (Letzteres mit Henry Rollins). Knoxville und Co. bringen den Schmerz der Überschussgesellschaft zum Vorschein.

Es gibt einige gute Gründe, „Jackass“ oder die „Tom Green Show“ als relevante Form von zeitgenössischer Comedy zu begreifen. Der soziale Defekt der „Jackasses“ führt sie, ähnlich wie Green, immer wieder zurück ins Elternhaus. Das Thema der Erniedrigung des Vaters durchzieht den gesamten Film: In einer Szene stürmen sie nachts das Klo und reißen dem dort sitzenden Vater unter Brüllen das Hemd vom Körper. Ein Verhalten, dem keine padägogische Maßnahme mehr entgegenzusetzen ist. „Jackass“ ist antiautoritäres Kino in seiner regressivsten Form, und das ist heute, bei allem Kulturpessimismus, den der Film in jeglicher Hinsicht bestätigt, auch wieder nötig.

„Jackass: The Movie“. Regie: Johnny Knoxville, USA 2003; 87 Min.