BISHER FEHLTE ES AM WILLEN, KARADŽIĆ UND MLADIĆ ZU VERHAFTEN
: Bequemer bosnischer Status quo

Wieder ist Radovan Karadžić, informell weiterhin politischer Führer der bosnischen Serben, seinen Häschern entwischt. Acht Jahre nach Kriegsende konnte er erneut den versammelten Geheimdiensten und einem internationalen Militäraufgebot entwischen. Die Festnahme des irakischen Dikators Saddams hat aber gezeigt, dass, wenn der politische Wille gegeben ist, gesuchte Personen auch in einem feindlichen Umfeld gefunden werden können. Karadžić ist noch frei – daran zeigt sich, dass in Bosnien dieser eindeutige Wille fehlt. Mehr noch: dass es innerhalb der internationalen Gemeinschaft zu Differenzen über die Verfolgung von Kriegsverbrechern gekommen ist.

Theorien und Thesen, Gerüchte und Spekulationen, wer da wie welchen Standpunkt vertritt, gibt es viele. Die entscheidende Frage ist aber, was passierte, wenn es in absehbarer Zeit nicht gelänge, des neben dem früheren Armeechef Ratko Mladić wichtigsten Kriegsverbrechers habhaft zu werden. Die Antwort ist einfach: nämlich nichts. Bei den Serben Bosniens würden die alten xenophobischen Ideologien und durch Nationalisten beherrschten Machtstrukturen weiter dominieren – was, nebenbei bemerkt, die Nationalisten der anderen Volksgruppen stärkt. Das Land bliebe weiter gespalten, jede Volksgruppe setzte weiterhin ihre „ethnischen“ Interessen in Politik und Wirtschaft durch. Und die internationale Gemeinschaft bliebe bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, um den Status quo zu sichern oder um sogar einen neuen Krieg zu verhindern.

Das Gegenprogramm ist beschwerlicher. Denn wie soll an der Perspektive der Integration in die EU gebaut werden? Wer will schon in einem Land investieren, das auf so unsicheren Beinen steht? Wie sollte die bosnische Gesellschaft insgesamt die Kraft finden, die bisher ethnisch definierten gesellschaftlichen Institutionen zu reformieren? Karadžić und Mladić müssen endlich verhaftet werden. Erst dann würden die Weichen neu gestellt und die Investitionen der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina auch Früchte tragen. ERICH RATHFELDER