: Die Sozialtechnokraten
„Tun, was notwendig ist“ lautet das Credo junger SPD-Politiker um den smarten Fraktionschef Michael Müller. Für ideologische Flügelkämpfe wollen sie nicht mehr stehen. Aber wofür dann?
von ROBIN ALEXANDER
Michael Müller kann nicht mehr darüber lachen. Der Norddeutsche Rundfunk hat um ein Interview gebeten, schon den Ton ausgesteuert und in forschem Ton die erste Frage gestellt – zur Bundespolitik. „Sie meinen jemand anderen“, stößt der Interviewpartner zwischen zusammengepressten Lippen hervor. „Aber Sie sind doch Michael Müller?“ Ja, Michael Müller, SPD, Vorsitzender der Fraktion im Abgeordnetenhaus. Nicht der andere: Auch Michael Müller, auch SPD, aber stellvertretender Vorsitzender der Fraktion im Bundestag.
Müller wird häufig mit Müller verwechselt. Den Vogel schoss unlängst der Tagesspiegel ab, als eine Seite-3-Geschichte über linke Kanzlerkritiker groß mit einem Foto vom Berlin-Müller bebildert wurde, aber doch wieder der Bundes-Müller gemeint war. Auch die taz hat schon einmal das falsche Foto zum richtigen Müller veröffentlicht.
Aber Michael Müller hat nicht nur ein Problem mit seinem Dutzendnamen. Während das Image des SPD-Parteivorsitzenden Peter Strieder schillernd zwischen Supersenator und Bad Guy schwankt und Klaus Wowereit sogar auf den bunten Seiten von Gala und GQ auftaucht, gelang es Müller noch nicht, von sich ein öffentliches Bild zu prägen.
Dabei repräsentiert der unauffällige, stets korrekt gekleidete 39-jährige Familienvater die neue Berliner SPD viel besser als der Typ Wowereit und die Marke Strieder. Die neue SPD, das ist vor allem die Fraktion. Die ist neu im wörtlichen Sinne. Knapp die Hälfte der Abgeordneten sind in dieser Legislaturperiode erstmals dabei. Die Fraktion ist jünger und weiblicher als die Konkurrenz und – das ist gerade in der SPD unüblich – eher lebensweltlich als akademisch geprägt.
Iris Spranger zum Beispiel: 41 Jahre alt, Dozentin an der Handwerkskammer, lebt mit ihrer Familie im Marzahner Neubau, interessiert sich für die Details bei der ABM-Vergabe und auch sonst für das Kleinteilige in der Politik. Damit ist sie im Hauptausschuss genau richtig: dem Gremium des Parlaments, wo es um Euro und Cent geht und wirklich entschieden wird. Immer öfter: Zuletzt erklärte die resolute Frau Spranger dem entsetzten deutsch-französischen Kultursender Arte, warum es für das Tempodrom „nüscht mehr gibt“.
Spranger kommt aus der Arbeitsgemeinschaft der Selbstständigen. Andere Leistungsträger in der Fraktion sind Juristen wie Frank Zimmermann, Jahrgang 1957, oder arbeiten in der freien Wirtschaft wie Daniel Buchholz, Jahrgang 1968, oder Dilek Kolat, Jahrgang 1967. Solche Leute sind traditionell eine vernachlässigbare Randgruppe in der Lehrerpartei SPD – aber nicht in der neuen Abgeordnetenhausfraktion. Auch Michael Müller ist Unternehmer, er hat die Druckerei seines Vaters übernommen und nie eine Universität von innen gesehen. Wie der Regierende tritt er für die Einführung von Studiengebühren ein.
Gegen politisch anders gestrickte Vorgänger mussten sich die Pragmatiker nicht durchsetzen: „Bei uns hat es klassische 68er eigentlich nie gegeben“, sinniert Müller. Der linksintellektuelle Marsch durch die Institutionen ist an dem Landesverband vorübergegangen. Klaus-Uwe Benneter, einst Juso-Chef, heute im Bundestag, ist eine Ausnahme. Alte Obergenossen wie Detlef Dzembritzki und Ditmar Staffelt standen eher für die Strukturen als für ihre Veränderung.
Aber wofür stehen die Jungen? „Wir tun nicht etwas, weil wir Sozialdemokraten sind, wir tun etwas, weil es notwendig ist“, erklärt Michael Müller sein Kredo. Notwendig sind in Berlin zurzeit vor allem Sparentscheidungen. Und die trifft Müllers Fraktion: Harte Variante beim Ausstieg aus der Wohnungsbauförderung. Keine Zuschüsse fürs Tempodrom. Der Versuch der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, den Streit um den Solidarpakt in die Fraktion zu tragen, scheiterte. In diesem Gremium fände sich auch für Opernschließungen eine Mehrheit. Die Fachpolitiker haben in der Fraktion an Einfluss verloren: Wenn Haushaltssanierung das wichtigste Politikziel wird, werden Haushälter die wichtigsten Politiker.
Ein Bonmot prägte Michael Müller, als seine SPD noch mit FDP und Grünen über eine Senatsbildung verhandelte und Müller dies rechtfertigen musste: „Jetzt habe ich schon so oft erklärt, warum die Ampel besser ist, dass ich es fast selbst glaube.“ Die Wahl ihrer politischen Partner treffen Müller und Co. wie ihre Entscheidungen: pragmatisch. Jene Partei ist koalitionsfähig, mit der die Mehrheit am besten funktioniert. Zurzeit ist das die PDS. Speziell mit dem Vorsitzenden der PDS-Fraktion, Stefan Liebich, versteht sich Müller gut.
Er ist die Nummer drei in der SPD-Hackordnung – deutlich hinter Wowereit und Strieder. Aber er ist gut aufgestellt: Er ist Chef des großen Kreisverbandes Tempelhof-Schöneberg, sein Fraktionsgeschäftsführer Christian Gaebler hat dieses Amt in Charlottenburg-Wilmersdorf. Wer bei Wowereit und Strieder abgeblitzt ist, muss mit seinem Anliegen zu den beiden kommen oder kann es abschreiben.
Wird Michael Müller also jemand werden, den man nicht mehr mit seinem Namensvetter verwechselt? Vielleicht. Denn eines haben er und seine junge Riege noch nicht geschafft: Sich gegen einen echten Widerstand durchzusetzen. Die kleinen Revolutionen der Notwendigkeiten gegen die alten Interessen von Wohnungswirtschaft und Kultur-Kamarilla finden ja mit Billigung von Klaus Wowereit statt. Als Chef und Vorgänger von Müller geht Wowereit heute noch gern charmierend durch die Reihen der Fraktion. Seinen Posten als Fraktionschef füllt Michael Müller zu Wowereits Zufriedenheit aus. Aber echte Macht hat in der Politik nur, wer schon einmal einen starken Konkurrenten besiegt hat. Das ist es, was Wowereit und Strieder ihm noch voraus haben – neben dem Image.