„Ganz gewaltig was verpennt“

In vielen Bundesländern starten derzeit Sprachförderprogamme für Vorschüler. Die Konzepte sind verschieden, aber alle kommen zu spät. Erst nach PISA sind bei den Kultusministern die Alarmlampen angesprungen

Bereits vor 30 Jahren empfahlen Experten Deutschunterricht in der Vorschule

Aus Hannover Kai Schöneberg

Die kleine Türkin schaut stumm zu Boden, als die I-Dötzchen einer Hannoveraner Grundschule an diesem Morgen das Lied „Der Bär“ singen. Dabei krähen die deutschen Knirpse bei der türkischen Version des Songs lauthals mit – schließlich werden die Kleinen hier zweisprachig erzogen: multikulti-vorbildlich. Für Betretenheit oder – schlimmer noch – für gescheiterte Integration, soll es bald keinen Grund mehr an deutschen Schulen geben: In vielen Bundesländern starten derzeit die ersten Sprachförderkurse für Vorschulkinder.

In Niedersachsen geht es am 1. Februar los. Bereits 1970 hatten Bildungs-Kommissionen Vorschul-Deutsch gefordert. Erst über 30 Jahre später läuten bei den Kultusministern durch die vernichtenden PISA-Ergebnisse die Alarmglocken. „Diese Nation hat ganz gewaltig was verpennt“, sagte Kultusminister Bernd Busemann (CDU) bei der von „Bär“-Liedern begleiteten Präsentation der Pilot-Ergebnisse der Vorschul-Sprachförderung in Niedersachsen. Niemand müsse sich wundern, so Busemann, dass die Migrantenkinder „den Schnitt herunterziehen“, wenn sie vorher nicht die Gelegenheit bekämen, Deutsch zu lernen.

Das soll sich jetzt ändern, und Niedersachsen macht dafür 20 Millionen Euro locker. Ein für alle Erstklässler verbindlicher Test hatte gezeigt, dass 10.000 der 90.000 Kinder, die in diesem Sommer in die 1.800 Grundschulen gehen sollen, nicht genug deutsch sprechen.

Nun sollen sie immerhin ein halbes Jahr lang täglich zwei Stunden Unterricht bekommen, entweder bereits im Kindergarten oder in der Schule – und das auch auf dem platten Land. Allerdings „muss noch einiges verbessert“ werden, wie Katja Koch von der Universität Göttingen betont, die die Pilotphase an den 20 niedersächsischen Grundschulen wissenschaftlich begleitete.

Von den 550 Versuchspersönchen aus 34 Ländern waren ein Drittel Türken und jeder Zehnte Deutsche gewesen. Koch registrierte zwar bei den meisten große Fortschritte: Viele „Kinder hätten in dem halben Jahr ihre Scheu überwunden, sich in Deutsch zu äußern“. Allerdings habe es bisweilen bei der Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Schule gehapert. Vor allem, so Koch, sei jedoch „Fördern bis zum Ende der Schule nötig. Das muss auch noch in der 13. Klasse gehen.“

Oder noch früher anfangen. Das halbe Jahr Förderung – in Bayern sind es nur drei Monate – sei „nur eine Notlösung“, meint Eberhard Brandt, der Vorsitzende der niedersächsischen GEW. „Ob Skandinavien oder Kanada: Alle Länder, die ihre Migranten erfolgreich integrieren, fangen früher an.“ Auch Schleswig-Holstein fördert „in der gesamten Kita-Zeit“, sagt der Sprecher des Kultusministeriums, Jens Oldenburg. Im hohen Norden startet derzeit auch die Vorschul-Sprachförderung. Hier soll es an jeder Kita eine Sprach-„Expertin“ geben. 3.000 Erzieherinnen wurden schon ausgebildet.

Stolz verweisen dagegen die Niedersachsen darauf, dass hier auch Kinder, die nicht im Kindergarten sind, beim Deutschpauken dabei sind – anders als im nördlichen Nachbarland. Kinder von Migranten, deren Eltern sie nicht in den Kindergarten schicken, sind dort bei der Einschulung erst recht benachteiligt. Dafür stellt man in Schleswig-Holstein mit 200 zusätzlichen Stellen proportional gesehen bedeutend mehr Lehrkräfte zur Verfügung als in Niedersachsen. Die 280 Sprachförderstellen im Lande würden dagegen nur aus den Grundschulen abgezogen, kritisiert dagegen die niedersächsische SPD. Die Grundschüler müssten so für die Deutschstunden der noch Kleineren „bezahlen“, so Landeschef Wolfgang Jüttner.

In Bremen läuft derzeit schon der zweite Durchgang von Deutsch für Knirpse – hier trägt das Programm, bei dem alle Kinder im Rahmen der ärztlichen Schuleingangs-Untersuchung auf ihre Deutschkenntnisse hin „gescreent“ werden, den schönen Namen „Sprachschatz“. Bis zur Einschulung in diesem Sommer nahmen gut 600 der insgesamt 5.800 Erstklässler am Förderunterricht teil.

In Hamburg wird gegenwärtig die Sprachkompetenz von etwa 16.000 Viereinhalbjährigen untersucht. Die Maßnahme ist umstritten, weil im Zuge des neuen Gutscheinssystems der Kita-Besuch für jüngere Migrantenkinder eingeschränkt wurde. Nur Kinder, die noch nie in einer Kita waren, dürfen bei konstatiertem Bedarf ganztägig den Bildungsort besuchen.