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Archiv-Artikel

Plück du dien Bohnen man alleen

20 Jahre nach seinem Tod ist der „Schangsongjeh“ Hannes Flesner in Ostfriesland unvergessen. Er hat als „humoriger Ostfriese“ im Fernsehen alle Klischees bedient und als erster „Folksänger“ seiner Heimat ein herb-zartes Denkmal gesetzt

Aus Ostfriesland Thomas Schumacher

„Jau, Hannes, dat wör einer.“ Folli Fecht, noch mit über 70 Jahren ein Ungeheuer von eins neunzig, reibt sich seine Maurerpranken. Plötzlich glänzen die misstrauischen Äuglein, und sein Faltenmund summt: „ Hej Bottermelk Tango, kennt elk und een.“

Die mächtige Gestalt wiegt sich in den Hüften. Da ist er, der Bottermelk Tango, die heimliche Nationalhymne Ostfrieslands von Hannes Flesner! Nix Gesäusel, nix sentimental, nix verlogenes völkisches Gejammer. Echtes Leben eben.

Dass Hannes Flesner als Feuilletonchef der Hamburger „Bild“-Zeitung, (Tatsache, so was hatte „Bild“ in der 50er Jahren) auch ein wegweisender Musikjournalist war, das würdigt ein umfangreiches Buch zu seinem 75. Geburtstag: Werner Jürgens’ „Gröön - Bohnen Rock’n’Roll“, JeJo-Verlag, Leer.

Hannes Flesner, Jahrgang 1928, war eine ostfriesische Ikone, die – im Rampenlicht – alle jemals existierenden Klischees über seine Landleute, gefördert, bedient, wenn nicht gar selbst inszeniert hat. In der Vor-CD-Zeit warb Hannes Flesner auf seinen Plattencovern im Fischerhemd, mit Pfeife, rotem Halstuch, Elbsegler, auf einem Fahrrad mit jeweils einer Milchkanne am Lenker, auf dem Misthaufen tanzend mit Handharmonium. Wat för’n wilder Keel!

Was ostfriesisch war oder hätte sein können, wusste in den 50er Jahren kein Schwein.

Also hat Flesner im neuen Medium Fernsehen beim „Blauen Bock“, in der „Schaubude“, bei „Dieter-Thomas-Heck“ und anderen einschlägig verdächtigen Sendungen, das Bild des Ostfriesen installiert. Er war „der“ Ostfriese und lebte davon. Etwa als Erfinder der ersten Sprechplatten mit Ostfriesenwitzen. Deswegen hassen ihn heute noch einige Kulturveranstalter, die sich in der Region um edle Alternativen zur Teebeutelweitwurfolympiade, den unseligen Shanty-Konzerten oder dem Ostfriesen-Saufabitur bemühen.

Dass Flesner sich nicht zu schade war, auch die ersten schlüpfrigen „Frau Wirtin Verse“ auf Platte zu bannen, offenbart neben seinem Geschäftssinn auch die (möglicherweise ostfriesische) Auffassung von Weltläufigkeit. Hinterm Deich wohnen eben die Menschen, die von Hongkong und Shanghai träumen, aber ihr Ditzumerverlaat nie verlassen.

Auf der anderen Seite, in seinen plattdeutschen Liedern, Flesner sagte „Schangsongs“, hat er ein kühl realistisches Bild des Lebens der Menschen hinterm Deich beschrieben. Verschmitzt, stur, engstirnig, provinziell, liebevoll und zupackend. Etwa wie jener Lübbo Patent. Gifft rein nix up Welt, watt Lübb neet kennt. Bloot wenn’t drum geiht, dat een wat deit, is Lübb all lang aver’t Heid (über alle Berge). Lassen wir es nicht unerwähnt, dass Lübbo Patent Hochdeutsch pfeifen kann und sogar seine Frühstückseier hochkant brät.

Flesners Lieder lesen sich heute als Chronik eines Landstriches, in dem in den letzten hundert Jahren kolossale Brüche und Veränderungen das Leben der Menschen radikal umgekrempelt haben. Beispiel Natur: einst unerbittlicher Gegner der Menschen, heute rächen sie sich mit Zerstörung durch Besiedlung. „Wi willen immer wieder / un immer noch mehr / man wat betaaln wi doarför“, heißt es in „Bi’t Kukelorum“. Vielleicht sind solche Lieder über den Verlust einer alten Heimat nur auf Platt möglich. Zumal wenn sie von jemandem gesungen werden, dem die Sprache nicht Medium, sondern Teil seines Lebens ist.

Flesners Texte sind Dokumente der Lebendigkeit dieser Sprache. Genau deswegen lieben ihn die Menschen. Sie verstehen und fühlen sich verstanden – in ihrer eigenen Sprache. Wie viel zarter klingt es doch, jemandem zu sagen: „Plück du dien Bohnen man alleen“ – als mit der hochdeutschen Version zu dröhnen: „Leck mich am Arsch“ (Gröönkohl Rock’n’Roll).

Selbst musikalisch eher auf einem Hauruckniveau, konnte sich Flesner als einer der ersten Musikredakteure Deutschlands bei der „Bild“-Zeitung kompetent über Musik verbreiten. In seiner etwas schüchtern klingenden Rubrik „Für alle, die Jazz lieben“ förderte Flesner mit Leidenschaft Miles Davis, Ella Fitzgerald und Louis Armstrong . In der „Bild“-Ausgabe von Silvester 1962 glänzt Flesner mit einem „taz“-verdächtigen Gag. Ganzseitig druckt er die Schrittfolge eines neuen Tanzes ab, des Twist. Dabei vergisst er nicht, bis dahin ungewohnte Tanzbewegungen herauszufordern („schnipsen“).

Und er erkannte schon Mitte der 50er Jahre, was den Tod des Rock’n’Roll in Deutschland herbeiführen würde: der „Wohlklang“ des Schlagers. Was Flesner nicht davon abhielt, sich als Marketing Chef der damaligen Plattenfirma Philipps diesem Genre hinzugeben. Als Promoter und Texter arbeitete Flesner mit solch illustren Größen wie Alexandra, Rex Gildo, Medium Terzett, Nana Mouskouri oder Catarina Valente zusammen, die in den 60er Jahren den Hochglanz der deutschen Samstagabend-Unterhaltung darstellten. Als Hannes Flesner 1984 in Aurich mit nur 56 Jahren starb, hatte ihn sein Leben als Hans Dampf in allen Gassen gezeichnet. In den wichtigsten Kneipen vor Ort hatte er seinen Stammplatz – nach seinem Motto: „Schenk ein, mach Striche.“

Mit seiner erfreulich unsentimentalen Biographie hat Werner Jürgens das Original Flesner in allen Facetten ausgeleuchtet. Was genauso wichtig ist: Der Leeraner JeJo-Verlag bietet gleichzeitig auch eine Doppel-CD an, die die plattdeutschen Lieder Flesners wieder einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht.