aus meiner verlobungszeit von EUGEN EGNER :
Plötzlich, mir blieb kaum Zeit für einen heiseren Aufschrei, war ich verlobt und musste mit der künftigen Schwiegerfamilie verreisen. Selbstverständlich durfte ich mir nichts anmerken lassen, aber vor Schreck lösten sich die Fäden meiner Unterwäsche. Ich musste fürchten, ganze mir aus den Hosenbeinen hängende DNS-Stränge endlich nachzuschleifen. Meine Verlobte bestand aus 480 Teilen, die vollkommen falsch zusammengesetzt waren. Von mir nahm sie nicht im Mindesten Notiz, sondern sang immerzu nur vor sich hin. „Bernd ist lieb, Bernd ist weg, Bernd hat den ganzen Garten getrunken.“ Wenn ich sie fragte: „Liebst du mich?“, erwiderte sie geistesabwesend: „Bernd ist nicht da.“
„Hör zu, Trinkgeldbaum, du musst im Endeffekt sehr, sehr gut zu ihr sein“, belehrte mich die Schwiegermutter, „das mit Bernd hat im Endeffekt nichts zu sagen.“ Sie nannte mich dauernd Trinkgeldbaum, obwohl ich nie so geheißen habe, denn sie redete jeden mit ihrem Mädchennamen an.
Außer Mutter und Tochter waren noch zwei bis drei weitere Personendinger mit von der Partie. Eins davon, Onkel Bernd, war ein Kerl wie ein altes Ledersofa. Indem er einem die Rechte hinstreckte, rief er: „Hand geben, Prost, Prost!“ Das zweite oder dritte Personending musste ständig sein Spiegelbild korrigieren, besonders nach Erschütterungen oder schweren Mahlzeiten. Wir erreichten den Haltepunkt der Bahn. Nun begab es sich aber, dass der kleine Bildschirm des Automaten nicht Buchstaben und nicht Zahlen anzeigte, sondern amorph vor sich hinwaberte.
Die 480 Teile der Verlobten passten weniger zusammen denn je. Das zweite oder dritte Personending zog ächzend den Taschenspiegel hervor, hielt ein seitenverkehrtes Passfoto daneben und versuchte angestrengt, Spiegelbild und Foto in Einklang zu bringen. Dazu betätigte es einige Rändelrädchen an der Seite. Es gab also keine Fahrscheine und infolgedessen auch keine Fahrt. Irgendwie fuhr dann auf einer geheimen Parallelspur doch noch ein Triebwagen immerfort im Kreis herum. „Trinkgeldbaum, du Schlauberger“, giftete mich die Schwiegermutter an, „meinst wohl im Endeffekt, du wärst im Endeffekt was Besseres als unsere Tochter, was?“
Onkel Bernd sagte kollegial zu mir: „Jetzt pass mal auf.“ Ich passte auf. Nichts geschah. Ärgerlich setzte die Schwiegermutter ihre Vorwürfe fort: „Was glotzt du dauernd aus dem Fenster, Trinkgeldbaum? Sitzt nicht im Endeffekt unsere Tochter neben dir? Die kann Drillinge kriegen! Ohne Dünger!“
Jenseits der Fensterscheibe hielten Eisenbahningenieure probehalber Bahnhofsneubauten an die Strecke, einer misslungener als der andere. Ich sah den Männern in die erwartungsvoll auf mich gerichteten Augen und schüttelte bedauernd den Kopf. Das zweite oder dritte Personending wollte mein Kopfschütteln nachahmen, wodurch es prompt die Ähnlichkeit mit dem Passfoto einbüßte. Bei seinen nicht ohne Hektik vorgenommenen Korrekturversuchen verstellte es den Spiegel immer ärger, bis überhaupt nichts mehr Ähnlichkeit mit sich selbst hatte. Genau in diesem Augenblick trank Onkel Bernd den ganzen Zug und die Hintergrundstrahlung dazu.