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Archiv-Artikel

Ganz traurige Einrichtungen

Eliteunis dürfen auf keinen Fall Ein-Fach-Veranstaltungen sein, sondern autonome Einrichtungen mit breitem Fächerkanon. Dort lernen die besten Studis, indem sie mit den besten Profs über die aktuellsten Probleme streiten. Skizze einer Spitzenuni …

… VON COSIMA SCHMITT

Das Ziel ist klar, der Weg umstritten: Bildungsexperten wünschen eine Eliteuniversität. Eine mit einem Renommee wie Harvard, das als Marke so bekannt ist wie Nike-Turnschuhe. Und in der, so schrieb es John Updike, der Student sich anstrengen muss, um nicht denken zu lernen. Doch wie muss eine Hochschule beschaffen sein, damit sie die besten Köpfe findet, bindet und fördert? Sie braucht vor allem eins: Gestaltungsfreiheit.

Zentraler Pfeiler elitärer Hochschulbildung ist die Studentenauswahl. Studien zeigen, wie wenig Schulnoten über den Erfolg an der Uni und im Beruf aussagen. Umso dringlicher ist es, die Talentvielfalt eines Bewerbers zu ermitteln, auch musische, literarische und soziale Fähigkeiten aufzuspüren. Das aber ist nur im persönlichen Gespräch möglich, das idealerweise mehrere Prüfer beurteilen, um individuelle Vorlieben auszuschließen.

Will eine Uni die Ressource Jungtalent nutzen, muss sie auch die Lehrinhalte reformieren: Studenten sollten sich nicht mit abgestandenem Buchwissen langweilen, sondern drängende Probleme der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft lösen und daran Nutzen und Grenzen der Theorie abschätzen. „Wir sollten nicht die kreativsten Jahre unserer besten Talente ungenutzt verstreichen lassen“, sagt Walther Ch. Zimmerli. Der Philosoph hat die Aufgabe, für Volkswagen eine konzerneigene AutoUni aufzubauen, die für VW Fach- und Managementeliten heranziehen soll.

Wer mit seinen Studienprogrammen exzellente Studenten zu werben vermag, erwirbt einen Wettbewerbsvorteil: Talentierte Studenten locken talentierte Professoren an. Denn diese hoffen auf Doktoranden und Hilfskräfte, deren Talent auch der eigenen Forschung nützt, sowie auf inspirierende Seminare mit klugen, wohl vorbereiteten Studenten. Ein renommierter Lehrer stärkt wiederum den Ruf der Uni. Drittmittel fließen, die verbesserte Forschung zieht noch qualifiziertere Studenten an. Deshalb versuchen amerikanische Unis wie das Caltech in Pasadena (Kalifornien), konkurrierende Hochschulen auszustechen, in dem sie Ausnahmetalenten die Kosten für Lehre und Logis erlassen.

Viele Strategien, das Prestige zu steigern, sind nur möglich, wenn die Uni autonom agieren kann. „Manchmal habe ich Forscher, die glänzende Lehrer sind – aber nur im Labor. Eine Vorlesung mit 50 Mann macht sie ratlos. Starre Vorgaben verhindern es oft, Talente optimal zu nutzen“, sagt Konrad Schily, Gründer und langjähriger Präsident der privaten Uni Witten/Herdecke, die vielen als Modell einer Elitehochschule gilt. Hin und wieder trennt sich seine Uni daher von einem Lehrer, der ungeeignet oder wenig motiviert erscheint. Dabei stützt sie sich auf das Votum der Studis – die ihre Profs regelmäßig evaluieren.

„Unsere heutige Professorenauswahl krankt in zwei Punkten: Wir stellen sie lebenslang ein – und wir stellen sie Vollzeit ein“, kritisiert wiederum Zimmerli. Im 19. Jahrhundert war das sinnvoll: Der Staat wünschte sich loyale Diener. Heute leiden Unis, weil verbeamtete Professoren wenig Anreiz haben, sich zu bemühen. Zudem sei es effizienter, so Zimmerli, einen Professor allein für jene Bereiche einzustellen, die er gut beherrscht – „ohne seine Schwächen in anderen Bereichen mit zu kaufen.“

Ohne einen üppigen Etat aber lassen sich Star-Professoren nicht anwerben. Denn ehrgeizige Naturwissenschaftler, Mediziner oder Ingenieure verlangen Labore, in denen sie nach dem neuesten Stand forschen können. Und noch ein Kriterium einer Eliteuni ist kostenintensiv: „Ein Professor sollte in einem Kurs maximal 12 Studenten betreuen“, fordert Konrad Schily. So kennt er jeden Lernenden – und kaum ein Student wagt es, in derart kleiner Runde unvorbereitet zu sein.

Sind Etatfragen geklärt, drängt eine Grundsatzentscheidung: Will man in Deutschland Bildungsleuchttürme mit jeweils breitem Fächerangebot schaffen? Oder favorisiert man Eliteunis, die sich auf je einen Fachbereich spezialisieren, nach dem Muster etwa der privaten Bucerius Law School in Hamburg, die allein Juristen unterrichtet? Was nach effizienter Arbeitsteilung klingt, birgt einen entscheidenden Nachteil: Interdisziplinäres Arbeiten ist nicht möglich. „Ein-Fakultäten-Unis sind ganz traurige Einrichtungen. Die Vielfalt des Lebens findet dort nicht statt“, sagt Schily.

Auch Zimmerli plädiert für „transdiziplinäres Studieren“ – und für die Anpassung an eine Hochschulbildung, die internationaler und immer häufiger auch berufsbegleitend sein wird: Der „virtuelle Hörsaal“ müsse künftig das physische Treffen von Studis und Prof ergänzen. „Das ist nicht einfach ein ins Netz gestelltes Vorlesungsskript, sondern ein didaktisches Gesamtkonzept mit Chatrooms und Datenbanken“, so Zimmerli.

Eine solche Modelluni greift Elemente existierender Elitehochschulen auf. Ein „deutsches Harvard“ aber kann es aber schon deshalb nicht geben, weil die mehr als 300 Jahre alte amerikanische Traditionsuni auf ein Stiftungskapital von rund 19 Milliarden Dollar gebettet ist. Ehemalige springen ein, wenn neue Labore zu finanzieren sind.

Eine deutsche Eliteuniversität hingegen dürfte allenfalls auf eine magere Anschubfinanzierung aus Steuergeldern hoffen. Um sie dennoch zu realisieren, fordern zahlreiche Bildungsexperten, Gebühren zu erheben.

Dass diese nicht zwangsläufig Unterschichtskinder ausgrenzen, belegt Witten/Herdecke, das vor 8 Jahren den „Umgekehrten Generationenvertrag“ entwarf: Zwar kostet ein Vollstudium in Witten etwa 15.000 Euro. Studieren darf aber jeder, der einen der begehrten Plätze errungen hat, auch wenn er die etwa 250 Euro pro Monat nicht aufbringen kann. Erst als Absolvent muss er, sobald er mindestens 17.000 Euro jährlich verdient, 8 Jahre lang 8 Prozent seines Einkommens an die Uni überweisen. Wer gut verdient, zahlt also mehr zurück, als das Studium kostete, maximal jedoch 30.000 Euro.

Wer Gebühren für ein Elitestudium als unsozial pauschalisiert, übersieht eine Faktum: Nur etwa 12 Prozent aller Studenten stammen aus einkommensschwachen Familien. Das Gros der Übrigen könnte durchaus zahlen. Von jenen kassieren, die ohnehin genug haben, und jedem Bedürftigen Stipendien und Darlehen garantieren – das würde dazu beitragen, dass die Vision Spitzenuni nicht als unbezahlbar zerrinnt.