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Archiv-Artikel

Der ganz alltägliche Faschismus

betr.: „Wenn meine Schwester Sex vor der Ehe hat, schlitz ich die auf, ganz klar“, tazzwei 8. 1. 04

Gerade dieses Stammtisch-Gerede Pubertierender zeigt, dass es hier gar nicht um den Islam oder sonst irgendeine Religiosität geht. Was einem hier an Unmenschlichkeit und Verachtung entgegenschlägt, ist nicht Resultat der Lehren irgendeines religiösen Buches, sondern Frucht soziologischer Systeme wie solcher Macho-Kulturen, die religiöse Aspekte instrumentalisieren und ihre Kinder zu getreuen Werte-Fanatikern erziehen: mit zweierlei Maß messen, den eigenen Vorteil im Blick haben, Andersdenkende niedermachen, das System nicht in Frage stellen.

Es geht hier nicht etwa um interkulturelle Debatte oder gar religiöse Fragen, sondern um den ganz alltäglichen Faschismus. (Zum Nachdenken: Was haben Kreuz, Kippa, Kopftuch, Star Spangled Banner, Hakenkreuz und Halbmond-Sichel gemein?) Dieser Faschismus besteht aus der Anmaßung von Individuen und Gesellschaften jeglicher Couleur, selbst über Gut und Böse richten zu wollen. Das Dilemma dabei ist: Man muss im vermeintlich Guten selbst das Böse anwenden, um das vermeintlich Böse zu besiegen. Da ist Mustafa – der seine Schwester bei vorehelichem Sex aufschlitzen will, aber selbst vorehelich beischläft – nicht anders als andere Macht- und Rechthaber, sagen wir, Bin Laden, Scharon, Arafat oder Bush. Raubtiere wie diese machen mir höllisch Angst. Dies ist nicht zuletzt auch die Essenz religiöser Erkenntnis: Wenn wir eine bessere Welt wollen, müssen wir immer wieder lernen, uns vor allem selbst menschlich zu verhalten. BENJAMIN-GUNNAR COHRS, Bremen