Weiterbildung: Der „erste“ Arbeitsmarkt zählt

Interview mit dem Leiter der „Akademie Überlingen“, Christian Memmert, über die neuen Kriterien der Förderung durch das Arbeitsamt

taz: Es wird oft gesagt, dass in der beruflichen und in der allgemeinen Weiterbildung das Versicherungsbeiträgen nicht besonders effektiv ausgegeben wird und dass deswegen jetzt die Bundesanstalt für Arbeit das System verändert. Stimmt das?

Christian Memmert: So stimmt das nicht. Alle Einrichtungen bilden die Teilnehmer weiter. Es gab unterschiedliche Schwerpunkte und unterschiedliche Zielgruppen.

Manche Weiterbildungsprogramme waren doch Warteschleifen ohne besondere Aussicht, in dem neu erschlossenen Bereich wirklich eine Beschäftigung zu bekommen.

Es gibt unterschiedliche Erfolgskriterien für unterschiedliche Zielgruppen. Die Vermittlung auf dem ersten Arbeitsmarkt war eine Zielsetzung, daneben gab es andere. Wenn wir Weiterbildung mit Langzeitarbeitslosen gemacht haben, mussten wir ganz andere Schwerpunkte setzen, soziale und persönliche Probleme bearbeiten. Die Hartz-Gesetzgebung hebt diesen Zielgruppen-Bezug auf. Jetzt wird auch vom Arbeitsamt selbst geguckt, ob derjenige, der in die Maßnahme kommen soll, eine 70-prozentige Erfolgsaussicht bietet. Darauf müssen die Weiterbildungseinrichtungen auch achten. Früher spielten andere Erfolgskriterien eine Rolle, die Veränderbarkeit von persönlichen Problemlagen. Jetzt zählt nur noch die Vermittelbarkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt. Zielgruppen-Arbeit ist in Zukunft nicht mehr vorgesehen.

Es wurden doch Dutzende türkischer Mädchen zu Schneiderinnen ausgebildet. In Wahrheit war das mehr eine Ausbildung für den Heiratsmarkt.

Die Frage ist: Was macht man mit der Zielgruppe türkische Mädchen. Es gibt in Bremen viele türkische Änderungsschneidereien, wo Männer und Frauen sich selbständig gemacht haben. Im Vergleich zu dem Versuch, türkisch-sprechende Teilnehmer zu Bürokaufleuten weiterzubilden, wo es stark auf gute Deutsch-Kenntnisse in Wort und Schrift ankommt, ist das erheblich sinnvoller.

Ist es nicht schade, wenn Weiterbildung nur noch strikt unter dem Kriterium erster Arbeitsmarkt betrachtet und finanziert wird?

Es ist richtig, Weiterbildung an Zielsetzungen zu koppeln. Es gibt auch den Maßnahmetyp „Trainingsmaßnahmen“, dieser Bereich wird einen Teil der Maßnahmen übernehmen, die nicht direkt für den ersten Arbeitsmarkt vorbereiten.

Wenn dieses Kriterium „Vermittlungserfolg 70 Prozent“ angelegt wird, werden einige Weiterbildungsträger in Bremen Probleme bekommen.

Das ist die Frage, wie diese Institutionen ihre Weiterbildung verändern. Es gibt die Möglichkeit, bestimmte Bereiche zu Trainingsmaßnahmen zu machen. Und Weiterbildung ist natürlich auch gefordert, sich weiter zu entwickeln. Wobei es nicht um eine „Vermittlungsquote“ von 70 Prozent geht, sondern um eine „Verbleibsquote“. Wichtig ist, dass die Träger sich verändern. Über die Bildungsgutscheine haben die Teilnehmer die Möglichkeit, nur an den Modulen teilzunehmen, die für sie passend sind.

Was steht auf den Bildungsgutscheinen drauf, die Arbeitslose vom Arbeitsamt bekommen?

Darauf stehen das Bildungsziel, das Verfallsdatum, die Weiterbildungs-Dauer und die räumliche Grenze.

Also das Beratungsergebnis.

Ja. Das Arbeitsamt muss das Weiterbildungsziel genauer festlegen als bisher.

Was für einen Wert hat ein Gutschein?

Das ist unterschiedlich. Es hängt von der erwarteten Dauer der Maßnahme ab. Da geht es auch um Fahrtkosten.

Kann man mit den Bildungsgutscheinen handeln wie mit Umweltverschmutzungs-Zertifikaten?

Naja. Es ist so, dass die Bildungsgutscheine bei den Weiterbildungseinrichtungen eingereicht werden. Es könnte die Situation geben – das ist ein fiktives Beispiel – dass fünf Einrichtungen Kurse „Industriekaufmann“ anbieten und sich insgesamt 20 mögliche Teilnehmer melden. Dann müssen die Einrichtungen sich absprechen, wie sie für diese Teilnehmer einen gemeinsamen Kurs organisieren.

Oder einzelne Bildungsgutscheine gegen andere Anmeldungen eintauschen?

Das wäre eine Möglichkeit.

Was bildet die Akademie Überlingen aus?

Köche, Hotelfachleute, Restaurantfachleute, und wir bilden fort in den Bereichen Küche, Service, Hotelverwaltung. Zur Zeit haben wir etwa 150 Teilnehmer.

Hat die Akademie Überlingen Probleme mit dem Kriterium „70 Prozent“?

In den letzten Jahren haben wir selten weniger vermittelt.

Warum bilden die gastronomischen Betriebe nicht selbst aus?

Die Betriebe bilden nach wie vor sehr intensiv aus. Aber der Bedarf ist größer. Fragen: kawe