: Der Silberschatz der Junggesellen
Die aus Riga vertriebene Bruderschaft der „Schwarzhäupter“ hat sich nach einem Zwischenstopp in Hamburg in Bremen niedergelassen. Jetzt sind auch verstreute Teile ihres legendären Tafelgeschirrs hier eingetroffen – zumindest dessen westliche Bestandteile
Von HENNING BLEYL
Ein Schwarzhaupt aus Reval ist etwas anderes als eines aus Riga. Damit es da keine Verwechslungen gibt. „Das ist ein bisschen wie das Verhältnis zwischen Bremern und Bremerhavener“, erklärt ein langjähriges Bruderschaftsmitglied, möglicherweise also desaströs. Aber wer weiß das bei einer diskret auftretenden, Jahrhunderte alten Bruderschaft schon so genau. Gemeinsam ist den verschiedenen Schwarzhäuptern immerhin, dass sie den Heiligen Mauritius als Patron verehren. Daher das Schwarzhaupt: Mauritius wird ikonografisch als „Mohr“ eingestuft und dargestellt.
Zudem trugen die Bruderschaftler schwarze Sturmhauben, wenn sie für Bischof Albert von Bremen die Slawen fernhielten, die die Gründung von Riga als Handels- und Missionsvorposten nicht gutheißen wollten. In friedlicheren Zeiten waren sie im Baltikum lebende Kaufleute deutscher Herkunft, die sich als Junggesellen in einer speziellen Gilde zusammen fanden. Die Revaler jedoch brachten es nie zu einem richtigen Schatz. Der der Rigaer hingegen – prächtigstes Tafelsilber, riesige Kelche – ist in seit 1939 nicht mehr gesehener Vollständigkeit nun im Bremer Roselius-Haus ausgestellt.
Seit der Vertreibung der Deutsch-Balten in Folge des Hitler-Stalin-Paktes ist er weit verstreut. Die ausgewiesenen Schwarzhäupter durften einen Teil mitnehmen, das meiste verschwand jedoch in sowjetischen Magazinen und Metallschmelzen. Auch der westwärts transferierte Teil blieb keineswegs beieinander: Zwar nahmen die Schwarzhäupter 1980 ihren offiziellen Sitz in Bremen auf, was aber nicht bedeutete, dass auch sämtliches Silber dort ankam. Auch in Darmstadt hatten sich baltische Landsmannschaften heimisch gemacht, unter ihnen Schwarzhäupter, die ihre geretteten Schätze dem Hessischen Landesmuseum überließen.
Fortan fehlten den Bremer Bruderschaftlern unter anderem ihre „Stangenbecher“: Reich ziselierte Silberkelche mit lang gezogenem Unterbau. Um sie und weitere in Hessen verschütt gegangene Schätze zurück zu bekommen, nutzten die Bremer Schwarzhäupter die Schließung des Landesmuseums: Sie verwiesen auf entsprechende Klauseln im Überlassungsvertrag, die das Haus nun nicht mehr erfüllen könne.
Fragt man den Schwarzhäupter-Häuptling, „Ältermann“ John H. Helmsing – wäre er ein Revaler, könnte er sich „Erkorener Ältester am Worte“ nennen – nach den Hintergründen der Schatz-Zusammenführung, werden die Kontexte bündiger dargestellt: „Das hat sich so ergeben.“
Die Schwarzhäupter sind eben ein verschwiegenes Völkchen. Wobei der Diminutiv „-chen“ noch untertrieben ist: Gerade mal 24 aktive „Collegen“ hat die Bruderschaft noch, bei „Wikipedia“ wird von einer „inzwischen weit versprengten und alt gewordenen Mitgliederschaft“ geraunt. Gerade so, als sterbe ein Geschlecht von Gralshütern aus, als müsse bald ein Kino-Epos mit dem Arbeitstitel „Der letzte Schwarzhäupter“ gedreht werden.
Schätze neigen nun mal zur Geheimnisumwitterung. Doch „Wikipedia“ irrt: Das derzeit jüngste Schwarzhaupt ist 1972 geboren, das Durchschnittsalter liegt bei 65 Jahren. Überhaupt: Bei aller „erwünschten sittlichen Strenge“ sei man immer noch zu „äußerst fröhlichen Feiern“ fähig, betont ein anderes Schwarzhaupt, im Zivilberuf Literaturgeschichtler. „Auch in Bezug auf Erotik brauchen wir uns nicht zu verstecken.“ Letzteres ist freilich keine Anspielung auf etwaige orgiastische Ausschweifungen im Rahmen des einmal im Jahr statt findenden „Brudermahls“ – sondern auf die „lustvolle Ornamentik“ etwa des Amicitia-Pokals. Entscheidend für das Nicht-Aussterben der Schwarzhäupter dürfte allerdings der Umstand sein, dass mittlerweile das Junggesellentum als Beitritts-Bedingung aufgegeben wurde. Ältermann Helmsing, im Hauptberuf Reeder in Hamburg, ist das letzte zölibatäre Schwarzhaupt.
Zurück zum Schatz: Genau genommen handelt es sich bei der jetzt würdevoll begangenen „Wiedervereinigung“ der guten Stücke lediglich um den „Westschatz“ – in Riga selbst lagert unter anderem noch die komplette silberne Schnupftabakdosen-Sammlung der Bruderschaft. Zwar gibt es in Lettland keine „Compagnie“ mehr, aber das erst vor wenigen Jahren mühevoll rekonstruierte Stammhaus der Schwarzhäupter, heute Sitz eines Kulturzentrums.
Dessen Leiter bemüht sich seit Jahren um die Zusammenführung der Preziosen in einer gemeinsamen Ausstellung. Doch auch fast 20 Jahre nach dem Fall des eisernen Vorhangs hält man die Verleihung des Augapfel-artig gehüteten Silbers in Bremen für zu heikel. Die in dieser Frage intern gespaltenen Schwarzhäupter befürchten mehrheitlich, dass im Zuge einer solchen Ausstellung die Rückführung des Gesamtschatzes nach Riga gefordert werden könnte.
Immerhin vermehrt sich der Westteil des Schatzes auch von allein: Wer zur Bruderschaft hinzu kommt, also zum Eintritt auserkoren wird, darf erstmal stiften. Auf diesem Weg kam die Bruderschaft 2007 in den Genuss von 30 silbernen Wodkabechern in einem in etwa neoklassizistischen Stil, was den Formenreichtum des Schatzes um eine neue Stilrichtung bereichert. Als „lebendig“ wachsender Schatz vereinigt er Prunkstücke aus Barock, Rokoko und Jugendstil. Museal gesehen hat die restriktive Reproduktionspolitik restaurative Vorteile: Das Geschirr, wie jetzt von Jedermann zur Kenntnis genommen werden kann, wirkt beinah ungebraucht.