„Eine Investition, die zurückfließt“

Vorbild Neorealismus: Ein Gespräch mit Fernando León de Aranoa, dem Regisseur des Spielfilms „Montags in der Sonne“, über teure Filme mit armen Helden, die Proteste entlassener Werftarbeiter in Nordspanien und die Aristokraten der Straße

INTERVIEW CLAUS LÖSER

taz: Herr León de Aranoa, in Ihrem Film kommt die Sonne zwar im Titel vor, ansonsten spielt er aber an einem sehr düsteren Flecken Erde. War es schwierig, die Sonne nicht ständig im Bild zu haben?

Fernando León de Aranoa: Das war völlig paradox. Wir haben den Film aus inhaltlichen und ästhetischen Gründen im Norden Spaniens, in Galicien, gedreht. Dort regnet es fast 300 Tage im Jahr. Durch die starke Industrialisierung wirken die Städte grau. Das ist im Baskenland, wo ich aufgewachsen bin, ähnlich. Für mein Empfinden verkörpert Spanien deshalb gar nicht dieses farbenfrohe, sonnige Land, als das es überall gilt. Ausgerechnet als wir den Film aufnehmen wollten, schien dann ununterbrochen die Sonne. Wir konnten nur eingeschränkt drehen.

Ihr Film behandelt das Verschwinden von Arbeit und die Folgen für die Menschen, deren Alltag eben noch vom größten Arbeitgeber vor Ort, einer Werft, geprägt war. Das Filmemachen selbst ist eine sehr teure Angelegenheit. Gab es während des Drehens oder auch danach für Sie so etwas wie ein schlechtes Gewissen, mit viel Geld einen Film über arme Leute zu drehen?

Ja, das kommt schon immer mal wieder hoch. Merkwürdigerweise war bei mir dieses Gefühl des Benutzens viel stärker, als ich noch Dokumentarfilme gedreht habe. Nur wenige Menschen haben schließlich das Glück und das Privileg, Filme machen zu können. Kino ist nun einmal eine teure Angelegenheit. Aber ich halte dies für einen scheinbaren Widerspruch.

Inwiefern?

Das würde ja sonst bedeuten, dass nur Arbeitslose einen Film über die Arbeitslosigkeit machen dürften. Das gesamte Team müsste sich aus Arbeitslosen zusammensetzen. Und dann würde es wahrscheinlich gar keine Filme zu diesem Thema geben. Filme funktionieren als Vehikel der Wirklichkeit, sie vervielfältigen Probleme auch für diejenigen, die nicht unmittelbar davon betroffen sind. Konflikte und Krisen können im Kino bekannter gemacht werden, als dies sonst der Fall wäre. Durch das gewährte Privileg kann man als Filmemacher etwas geben, was es sonst nicht geben würde; eine Art Investition, die zurückfließt.

Gab es für Situationen, Schauplätze und Personen konkrete Vorlagen? Und wenn ja: Wie fiel die Reaktion dieser Personen auf den fertigen Film aus?

Unser Film spielt in Vigo. Aber viele Momente aus anderen Orten haben uns inspiriert. Der wichtigste Anteil kam aus Gijón, einer anderen Industriestadt im Norden Spaniens. Dort wurden zwei Jahre vor Beginn unserer Dreharbeiten auf einer Werft 90 Arbeiter entlassen. Die verbliebenen 300 haben sich das nicht gefallen lassen. Sie haben die Werft besetzt und sich auf dem Werksgelände verbarrikadiert.

Und Sie haben gefilmt?

Ja, das sind diese Bilder, die am Anfang unseres Filmes zu sehen sind – Szenen des Widerstands gegen die polizeiliche Räumung der Werft in Gijón. Noch wichtiger als diese Bilder war mir aber die Gelegenheit, an den Versammlungen der Protestierenden teilnehmen zu können. Diese Erfahrung war prägend für mich und den Film – dieses Bewusstsein der Leute, Teil der Arbeiterklasse zu sein und damit eine bestimmte Haltung zur Arbeit zu verkörpern. Niemals vorher hatte ich dies erlebt. Von diesen Arbeitern hat der Film sehr viel übernommen, das Kämpferische vor allem.

Hatten Sie später noch Kontakt zu ihnen?

Mit dem fertigen Film sind wir nach Gijón gefahren, um dort eine Vorführung zu veranstalten. Das war ungeheuer aufregend für uns: vor 1.500 Werftarbeitern und ihren Familien „Montags in der Sonne“ zu zeigen. Wir waren glücklich und erleichtert über ihre Reaktionen. Sie mochten den Film. Das Einzige, was ihnen nicht gefallen hat, war der Umstand, dass unser Held Santa die von ihm zerstörte Straßenlaterne doch noch bezahlt hat. „Wir hätten nicht bezahlt!“, war ihre Überzeugung.

Ein wesentlicher Reiz Ihres Films liegt in der Art und Weise seiner Erzählung. Er verzichtet auf eine herkömmliche Exposition. Und nachdem man anfangs ganz wenig über die Figuren und deren Lebensumstände erfahren hat, scheint sich zuletzt Material für gleich mehrere Fortsetzungen angehäuft zu haben. Stand der Entschluss dieser offenen, episodischen Struktur von Beginn an fest, oder hat sich diese erst durch die Konfrontation mit der Wirklichkeit ergeben?

Mir persönlich erscheint es wichtiger und spannender, mich beim Schreiben auf die Figuren zu konzentrieren. Ray Bradbury hat sinngemäß mal geschrieben, dass die Handlung die Spur der Figuren verkörpert. Das ist auch meine Meinung. Früher habe ich als Drehbuchautor für Filme anderer Regisseure gearbeitet – da war die Handlung für mich ein Handwerk, ganz konventionell. Das tritt nun mehr und mehr in den Hintergrund. Ganz klar: die Ausformung der Charaktere hat jetzt Priorität für mich.

Haben für Sie die Sozialdramen aus England – von Allen Clarke, Mike Leigh und vor allem Ken Loach – eine Rolle gespielt?

Ich halte diese Art des politischen Kinos für sehr wichtig. Aber mindestens genauso wichtig sind mir bestimmte, bis heute lebendige Traditionen des italienischen Kinos: die Klassiker des Neorealismus aus den Fünfzigerjahren von Vittorio de Sica oder Ermanno Olmi ebenso wie jüngere Arbeiten von Ettore Scola. Hier verbindet sich eine starke soziale Verwurzelung mit komödienhaften Elementen, die ganz anders gelagert sind als die der britischen Filme. Vielleicht ist uns das näher. Es gibt im italienischen Kino zum Beispiel immer wieder wundervolle Schurken, die aber mit sehr viel Respekt gezeichnet werden, als leibhaftige Aristokraten der Straße. Das gefällt mir.