piwik no script img

Archiv-Artikel

Schönheit teuer bezahlt

Reinhard W. hat mindestens 36 Patientinnen schöne Brüste, schöne Schenkel und faltenfreie Haut versprochen. Vor Gericht steht er wegen Pfuscherei. Zum Prozess gegen ihn, in dem heute plädiert wird, kommen viele der Zeuginnen nur vermummt

„Truthahnhals, Marionettenfalten, wellblechförmige Deformierungen“Warum sie das tat? „Ich bin 42 Jahre alt. Und Single“, sagt Brigitte W.

von ELKE SPANNER

23 Jahre, schlanke Figur, hübsches Gesicht. Nur wenn Christina P. früher im Spiegel ihre Oberschenkel betrachtete, hätte sie jedes Mal weinen können. Heute sagt sie, sie hätte es wahrscheinlich auch mit Sport und Diät schaffen können. Ein bisschen Joggen, ein bisschen Fasten, damals aber wäre ihr das zu mühsam gewesen. Ihre Lösung: 12.000 Mark auftreiben und sich das Fett mit einer Kanüle aus den Beinen ziehen lassen. Ein paar Stunden Angst, ein paar Tage Schmerzen, Schönheit kostet.

Zufrieden aber ist sie auch heute nicht. Die Oberschenkel sind zwar dünner, aber ungleichmäßig. Das Gesäß ist auf einer Seite abgesackt, in die Haut am Oberschenkel haben sich Dellen gegraben. Hätte sie gewusst, welche Risiken mit der Schönheitsoperation verbunden sind, sie hätte sich dagegen entschieden. Sie hat es aber nicht gewusst.

Denn der Chirurg, Dr. Reinhard W., hatte die Operation als Routineeingriff dargestellt und bei Fragen nach Risiken abgewiegelt. Dellen im Oberschenkel kämen mal vor, aber nicht bei ihm. Typische Operationsrisiken wie Infektionen könne er nicht ausschließen, alle anderen aber doch. 36 PatientInnen habe er im Unklaren über die Gefahren gelassen und dann auch noch gepfuscht, sagt die Staatsanwaltschaft. Sie hat den Fall vor Gericht gebracht. Heute wird vor dem Hamburger Landgericht plädiert.

Erlebt man Reinhard W. vor Gericht, würde schon die Entscheidung schwer fallen, sich von ihm die Haare schneiden zu lassen. Ein Buckel auf dem Rücken ist so ausgeprägt, dass der 59-Jährige sich nicht mehr gerade aufrichten kann. Die Gesichtshaut ist rötlich-blass, die Bewegungen so langsam und unsicher, dass es unvorstellbar erscheint, wie er noch vor wenigen Wochen ein Skalpell millimetergenau geführt haben will. Vielleicht kommt die Unsicherheit in der Bewegung von den Tabletten, unter denen er zur Zeit steht. Reinhard W. hatte vor Prozessbeginn mehrere Suizidversuche unternommen und ist in die Psychiatrie gekommen, in der er mit Medikamenten behandelt wird.

Vielleicht aber hat er früher durch den Arztkittel einen anderen Eindruck erweckt. Vielleicht haben seine PatientInnen ihren Körper nicht Reinhard W., sondern der Autorität in Weiß anvertraut. „Schönheit muss nicht teuer sein“, hatte der Chirurg seine private Tagesklinik in Eimsbüttel beworben, mit Anzeigen in Frauenzeitschriften.

Carola K. hatte beim Durchblättern eines Modejournals die Lösung ihrer Probleme entdeckt. Erst über Seiten die Fotos der professionellen Modells, allesamt schlank und mit glatter, reiner Haut, dann die Anzeige des „Face Aesthetik-Instituts“ in Eimsbüttel, das solche Schönheit allen Leserinnen versprach. Die 56-Jährige litt unter der Vorstellung, dass ihr diese mit zunehmendem Alter verloren gegangen war. Der Hals war nicht mehr so glatt wie früher, über der Oberlippe hatten sich kleine Fältchen gebildet. Wahrscheinlich hat dies außer ihr niemand bemerkt, aber Carola K. hat nichts anderes mehr gesehen, wenn sie in den Spiegel sah. Von Reinhard W. ließ sie sich überreden, auch noch die Lider straffen zu lassen. Anschließend blickte sie statt in ein jugendliches Gesicht auf einen „Truthahnhals, Marionettenfalten, wellblechförmige Deformierungen und eine schiefe Nase“, wie die Anklage es beschreibt.

Sich zu bekennen, der Schönheit mit Geld und Chirurgen nachgeholfen zu haben, fällt vielen Patientinnen schwer. Manche Zeuginnen sind aus Scham vermummt zum Prozess gekommen. Christina P. war zwar entsetzt, als sie nach der Operation bei Reinhard W. ihre Oberschenkel inspizierte, und ging zur Polizei. Vor Gericht, im öffentlichen Prozess mit Publikum aber betont sie immer wieder, dass sie jetzt keinesfalls verunstaltet sei. Obwohl sie bei einer Bestrafung von Reinhard W. auch Schmerzensgeld verlangen könnte, bringt sie nicht den Satz über die Lippen, unter ihrer engen Jeans „entstellt“ zu sein.

Reinhard W. kommt wahrscheinlich mit einer Bewährungsstrafe davon. Das Gericht hat ihm diese in Aussicht gestellt, sollte er ein umfassendes Geständnis ablegen und damit seinen Opfern ersparen, im Detail und vor Publikum darlegen zu müssen, was ihnen an ihren Körpern nicht gefällt. Er hat auch tatsächlich gestanden, irgendwie. Er rang sich dazu durch, folgende Formulierung zu Protokoll zu geben: „Wenn Beschwerden eingegangen sind, muss es einen Grund dafür geben. Ich muss eingestehen, dass die Vorwürfe berechtigt sind.“

Der 59-Jährige kommt sich selbst immer wieder in die Quere, die Verantwortung für seine Verfehlungen sucht er gerne bei anderen. Sicher, er habe Fehler begangen, räumt er ein. Zum Beispiel den, dass er den Inhalt der Beratungsgespräche mit seinen Patientinnen nicht notiert hat und sich dadurch selbst in die missliche Situation gebracht hatte, sich gegen den Vorwurf der schlechten Beratung nicht erwehren zu können.

Wenn man ihm aber vorhält, dass er einer Patientin ein Silikonkissen in die Brust einnähte, das vorher auf den Boden gefallen war, dann hat er dazu auch etwas zu sagen. Nämlich, dass er nun wirklich nichts damit zu tun habe, dass Brigitte T. nach der Operation gleich in den Supermarkt gegangen wäre und schwere Einkaufstüten geschleppt hätte. Außerdem werde in seiner privaten Tagesklinik das Operationsbesteck dreimal desinfiziert, lässt er das Gericht wissen, während andere Kliniken das nur einmal machen würden. Das Institut für Haartransplantation, das er zuvor am Gänsemarkt betrieben hatte, sei übrigens allein deswegen pleite gegangen, weil ein neues Medikament gegen Haarausfall auf den Markt gekommen war und ihm die Patienten weggenommen hatte. Und der 11. September 2001 war daran auch mit Schuld.

Renate F. war der festen Überzeugung, Reinhard W. mit ihrem Körper auch die Entscheidung darüber anvertraut zu haben, ob ihr Leben fortan glücklich oder unglücklich verlaufen wird. Sie hat sich von ihm Fett aus den Oberschenkeln absaugen lassen. Rund 400 Milliliter pro Oberschenkel sind erlaubt, Reinhard W. zog mehrere tausend Milliliter in seine Kanüle. Warum sie das tat? Brigitte W. erwidert mit einem Blick, als ob sich die Antwort eigentlich erübrigen müsste. „Ich bin 42 Jahre alt“, sagt sie. „Und Single.“