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Archiv-Artikel

Kampf, Knarre, Krönchen

Meist im Vermischten, dann wieder mitten im politischen Geschehen, am besten aufgehoben aber in der Kunst: Der britische Designer und Autor Keith Lovegrove wirft in seinem Buch „Pageant. The Beauty Contest“einen präzisen Blick auf die Königinnen des genormten Begehrens im Wandel der Zeit

von MAGDALENA KRÖNER

Zeige mir deine Schönheitskönigin, und ich sage dir, was für ein Land du bist. Jedes Land hat seine Missen: In den USA, wo jährlich an die 35.000 Schönheitswettbewerbe veranstaltet werden, schaffen es Missen gern bis nach Hollywood. In Russland zieht es sie schon mal zur Waffe, wie der Fall der ehemaligen Miss Universe Oxana Fjodorowa zeigte. Die tauschte Knarre gegen Krönchen und ging unter viel Mediengetöse zurück in ihren Beruf als Polizistin in St. Petersburg. In Venezuela schaffen es Missen wie Irene Saez bis in die Regierung und, als Kunstprodukte, bis ins Goethe-Institut in Caracas, wo dann Vertreter der internationalen Feuilletons eingeladen werden, sie unter dem einfallsreichen Ausstellungstitel „90-60-90“ zu bestaunen. Irgendwie tauchen sie immer wieder in unserem Bewusstsein auf: am Rand der harten Fakten, gerne unter „Vermischtes“. Dabei lohnt sich ein genauer Blick auf das Phänomen „Miss“.

Den Beweis anzutreten, hat sich der britische Designer und Autor Keith Lovegrove aufgemacht, der ein Bilderbuch zur Geschichte der genormten Schönheit im 20. Jahrhundert herausgebracht hat: „Pageant. The Beauty Contest“. Das seltsame Wort ungeklärten Ursprungs beschreibt üblicherweise, so schon in Shakespeares „Troilus und Cressida“, eine Bühne, auf der Tableaus nachgestellt wurden, oft genannt auch im Zusammenhang einer „Darbietung ohne Substanz.“ Da haben wir’s.

Während in England bis in die 60er hinein die Missen in ihren Kunsthermelinen und Tiaras alle ein wenig aussahen wie Queen Victoria, fielen in den USA schon bald die Hüllen. Hier wurde bereits 1921 die erste Miss America gewählt – im Bikini. Auch in Sachen Kommerzialisierung hatten die Amis die Nase vorn: 1948 gab es die erste Donut Queen, 1955 posiert eine „Sausage Queen“ in einem Bühnenkostüm aus Frankfurtern und Hot Dogs, komplett mit Wurstkrone.

In Deutschland scheint es derartige Abstrusitäten nicht zu geben: Deutsche Missen sucht man im Buch vergebens. Aber die haben im Moment sowieso eher mit dem Weltfrieden zu tun. So bekannte die frisch gewählte Miss Deutschland, Aleksandra Vodjanikova, sie würde gern mal mit Saddam Hussein sprechen. Die Politik mischt sich gegenwärtig ständig ins Miss-Business: Die Miss-World-Wahlen, die im letzten Jahr in Nigerias Hauptstadt Abudja angesetzt waren, mussten wegen gewaltsamer Proteste radikaler Moslems gegen die als frevelhaft empfundene Veranstaltung nach London verlegt werden. Dabei sind die atmenden Barbies viel besser im Reich des Schönen und Guten und mithin der Kunst aufgehoben.

Am interessantesten ist also auch bei Lovegrove ein Kapitel, in dem er sich unter der Überschrift „Progressive Theatre“ Lesben-, Transen- und Fetischcontests anschaut und, wie es scheint, überall auf hehre Kunst stößt: So erinnert ein muskulöser Mr. Gay UK, der von zwei Polizisten abgeführt wird, im weißen Lendenschurz und mit dem gewundenen Körper an Messinas Heiligen Sebastian.

Die Miss erhebt die Künstlichkeit zur Kunstform. Niemand hat das besser verstanden als Travestiekünstler und sonstige gender-benders. So geraten die Wettbewerber allerlei Geschlechts, die um den Titel der Miss Alternative kämpfen, zielstrebig in den Bereich der Performance Art oder mutieren zur Skulptur. Viele von ihnen sind tot: so Regisseur Derek Jarman, der 1975 als „Miss Crepe Suzette“ den Titel der Alternative Miss World gewann.

Sie alle werden jedoch in den Schatten gestellt von Leigh Bowery. Dieser war Popstar und Performancekünstler, die unangefochtene Ikone der Mode und des Drag im Großbritannien der späten 80er. Lovegrove zeigt den 1994 gestorbenen Bowery als Zeremonienmeister der Zeichen, der die Klischees vom „männlichen“ und „weiblichen“ Körper herzhaft zerlegt und neu zusammensetzt.

Bowerys entfesselter Karneval des Sexus stellt das frivole Gegenbild zu denen dar, die es ernst meinen, und in ihrer zahllosen Folge gedämpfte Langeweile beim Blättern in „Pageant“ auslösen. Man wünschte, die gnadenlosen Missen, die sich in Lateinamerika reihenweise die Norm implantieren lassen, wären gezwungen, in einem Raum voller Bowery-Portraits auf die nächste Beauty-OP zu warten. Dazu würden aus einem Lautsprecher leise die Worte Baudrillards rieseln: „Der Verführung wohnt die Macht inne, alles seiner Wahrheit zu berauben und wieder in das Spiel eintreten zu lassen, ins reine Spiel des Scheins, um dort im Handumdrehen die Sinn- und Machtsysteme zunichte zu machen: den Schein sich um sich selbst drehen zu lassen, den Körper als Schein und nicht als Tiefe des Begehrens wirken zu lassen – denn aller Schein ist reversibel – rein auf diesem Niveau sind die Systeme verwundbar.“

Keith Lovegrove „Pageant. The Beauty Contest“. Verlag te Neues, Düsseldorf 2003, 30 €