Zombies suchen Zeichen

Zwischen Totentanz, Nummernrevue und Trauerritual: Mit ihrer Show „Demons Dance Alone“ arbeiteten sich The Residents im Schiller Theater an den letzten noch verbliebenen Mythen des amerikanischen Traums und den Folgen des 11. September ab

von HARALD FRICKE

Die Narren haben ihre Schuldigkeit getan, die Narren können gehen. Nachdem Berlin am Wochenende mit ein paar tausend Animateuren noch den rheinischen Frohsinn simuliert hatte, ist am eigentlichen Faschingstag kein Mensch mehr in Piratenkostüm oder mit Pizzamaske auf den Straßen zu sehen. Stattdessen findet man den Verkleidungsmumpitz auf der Bühne im Schiller Theater wieder, so soll es auch sein: Schließlich sind zwei Stunden mit The Residents auch eine schöne Zeit, um sich allerhand Mummenschanz aus Kaliforniens Art-Underground anzuschauen.

Natürlich ziehen die Residents und ihr alternatives Musical-Spektakel noch immer echte LSD-gestählte Freaks an, die einfach mal zwischendurch „Residents for President“ rufen wollen. Das ist leichter zu ertragen als die Anarcho-Punks 1982, die ein Konzert mit dem Slogan „We need no Residents, we need resistance!“ sprengten. Früher gab es überhaupt viel über den anonymisierten Stil der Band aus San Francisco zu diskutieren: Anfang der 70er-Jahre waren es verdächtig nach Ku-Klux-Klan aussehende Mönchskutten aus Zeitungspapier, dann Asbestoveralls und ab 1979 überdimensionale Augäpfel, unter denen sich die Residents versteckten konnten. Solche Mythen um Autorschaft und Verweigerung haben sich gehalten, 30 Jahre lang.

Damit der Budenzauber ihre Musik nicht dominiert, werden mittlerweile sehr gemäßigte Outfits getragen, die zur Show passen – zum Beispiel lange Gewänder aus Tarnnetzen, dazu schwefelgelbe Leuchtbrillen. Schließlich handelt das neue Programm „Demons Dance Alone“ von den Auswirkungen des 11. September. Das scheint auch die Residents zu beschäftigen: Wer wird die neue Welt baun, wenn nicht du und ich?

Aus dieser Sorge ist eine sentimental journey geworden, mit der die Band eine etwas verschwiemelte Revue zum amerikanischen Traum musikalisch unterlegt hat. Der Country-&-Western-Einfluss eines Hank Williams ist gut hörbar, die Liebe zu Exotika und Heavy Metal auch. Nebenbei werden per Computer holpernde Disco-Rhythmen eingeblendet, verdichtet sich Xylophongeklöppel zu theatralischen Sounds à la Carl Orff. Die Handlung ist um eine nicht eben romantische Love Story gebaut: Schüchterne DurchschnittsbürgerInnen verlieben sich ineinander, balzen ein wenig zu Kitschmelodien herum und müssen am Ende doch feststellen, dass irgendwas nicht stimmt mit der Chemie. Vielleicht liegt es daran, dass das gumminasentragende Paar schon zu Beginn des Konzerts aussieht, als hätte jemand zwei Zombies aus der Chorus Line zu Michael Jacksons „Thriller“-Video engagiert; vielleicht ist das mutantenhafte Gebaren von Mr. Wonderful und seiner Partnerin auch bloß Ausdruck völliger Destruktion. Die letzten Überlebenden haben keinen Spaß mehr auf Erden, nur die Erinnerungen an Robert Taylor im Film „Ivanhoe“ oder an den knuddeligen Hund Fiffy sind ihnen geblieben.

Wirklich taugliche Metaphern für das amerikanische Post-9/11-Trauma sind solche Horrorszenarien nicht. Anders als bei Bruce Springsteens „The Rising“ gibt es für The Residents aus den Ereignissen nichts über verlorene Ideale zu lernen. Die Katastrophe ist geschehen, alle Darstellung prallt an dieser Tatsache ab. Statt klarer Worte gibt es deshalb vertrackte Erzählungen, in denen sich vor allem ein Wunsch abzeichnet: „Life could be wonderful“ ist nicht nur das alle paar Songs wiederkehrende Thema der Texte, die Akkordfolge zum entsprechenden Lied der aktuellen LP strukturiert auch den Verlauf des Abends.

Dazu wirbelt ein Tänzer in Teufelsmontur auf der Bühne umher und blendet mit Scheinwerfern mal das Publikum und mal die Akteure. Nicht von ungefähr erinnert seine extrem körperbetonte Performance an mittelalterliche Totentänze, während die Show mehr und mehr in einem zugleich grotesken und doch melancholischen Trauerritual aufgeht. Das klingt schwer nach Dekonstruktion: Sind nicht sogar die liebeskranken Balladen immer schon Verlustlieder? Weiter gehen die Residents auf ihrer Suche nach Zeichen für die ambivalente Beschaffenheit des american dream nicht, das liest sich bei Greil Marcus ohnehin viel spannender. Trotzdem wird auf der Bühne ein gutes Stück Befremdlichkeit angesichts des Mythos vom „Girl meets Boy“ sichtbar, der im Pop alles Glücksstreben von jeher begleitet hat. Den Zuschauern gefällt’s, auch wenn man nur ahnt, was da wie gemeint sein könnte. Aber der Applaus gibt den Residents am Ende Recht.