: Ein Exorzist und Gentleman
Er ist ein Sünder, denn er hat geshoppt: Reverend Billy trat am Freitagabend beim Maulhelden-Festival in der Arena auf
von JÖRG SUNDERMEIER
„Bevor uns der schnöde Wortverbrauch alltäglicher Textverarbeiter die Sprache verschlägt und die sprachliche Inkontinenz die letzte Dichtung überflutet, kommen die Maulhelden der anderen Art. Zum dritten Mal finden sie sich aus aller Welt hier in Berlin ein und bilden ein originäres Parlament.“ Zwar stellt Arnulf Rating diese Sätze in einer sehr steif anmutenden besseren Sprache dem Programm von Maulhelden, dem 3. internationalen Festival der Wortkunst, voran. Am Freitag aber war das Publikum des Festivals der „sprachlichen Inkontinenz“ nicht wirklich abgeneigt.
Es ist halb neun, und Georg Schramm betritt die Bühne der großen Arena des Tempodroms. Die ersten Leute lachen, denn sie kennen diesen Mann aus dem Fernsehen. Schramm gibt zunächst den Komisskopp, dann wechselt er das Jackett und trägt den Handschuh. Daran erkennen wir, dass er nun der Rentner Lothar Dombrowski ist, den er in „Scheibenwischer“ so oft gegeben hat. Schramm macht Witze über die USA, Bush ist ein Idiot, haha. Plötzlich aber wendet sich Schramm der Bundesregierung und ihrer Verdienste um Deutschland als kriegsführender Nation zu, die Lacher nehmen ab. Bei der Beschimpfung der Friedensbewegung wird die Stimmung eisig. Das Publikum in der großen Arena ist relativ wohlhabend, mit den üblichen modischen Accessoires gibt es zu erkennen, dass es lieber rot als tot ist, vor allem aber ist man grün. Wie jeder Kabarettist von Format weiß Schramm sich mal mit dem Publikum einer Meinung und erzählt pointiert, was es denkt, dann aber stößt er es vor den Kopf. Das hat Wirkung. Der Schlussapplaus nach dem ersten Auftritt ist groß.
Es folgt eine Amerikanerin, Rebecca Carrington, sie spielt auf dem Cello und mit ihrer Stimme, ihr Witz ist harmlos, ihre Kondition beindruckend, ihr Spiel virtuos. Sie reißt ihren Auftritt in 15 Minuten herunter, auch sie hat noch einen zweiten Auftritt an diesem Abend, nun in der Kleinen Arena, dort darf sie eine ganze Stunde füllen. Nach ihr füllt sich die Bühne schlagartig, ein Pianist, ein Gospelchor, das Publikum wird eingestimmt. Gesungen wird in englischer Sprache. Hast du geshoppt? Oh ja, ich bekenne, ich habe geshoppt! Wirst du weitershoppen? Nein, ich schwöre ab! Erste Reihen der zur Hälfte gefüllten Großen Arena lichten sich. Diejenigen, die des Englischen nicht mächtig sind, und die, die mit Auftritten solcher Prediger wie Billy Graham nicht vertraut sind, können mit der Dramaturgie dessen, was jetzt folgt, nichts anfangen.
Denn nun tritt der Schauspieler Bill Talen als Reverend Billy auf. Er kommt durch das Publikum, legt die Hand auf, scheint zu heilen, lächelt sich tot, trägt einen tadellosen weißen Anzug und den Pfaffenkragen am schwarzen Pullover, er entert swingend die Bühne, lächelt und sagt „Yeah“. Dann fragt er uns, ob wir eingekauft haben? Oooooh ja, er selbst ist ein Sünder, auch er hat geshoppt. Doch wollen wir Kinderarbeit in Sweatshops, Umweltverschmutzung und schlechte Arbeitsbedingungen in Konzernen? Nein, darum hören wir auf zu kaufen! So geht die Predigt des Mannes, der der Church of Stop Shopping vorsteht, ein guter Schauspieler ist, sich gnadenlos verausgabt und einen Autoexorzismus auf der Bühne hinlegt, der sein Gesicht puterrot macht. Am Ende singt der Chor „Oh happy day“, und ein paar Leute im Publikum sind der Anweisung des Predigers gefolgt und aufgestanden, um zu zeigen, dass sie der Church beitreten werden.
Es ist hübsch, was Reverend Billy da macht, der Gag funktioniert. Reverend Billy sagt, der Kommunismus sei scheiße, der Kapitalismus aber auch, er wisse nicht, was richtig sei. Aber, aaaaber!: Man könne zwar nicht ganz aufhören mit dem Einkaufen, doch man solle überlegen, wo man kaufe, und sich informieren, wen man unterstützt. Und, ja klar, George W. Bush ist natürlich ein Idiot, haha. Einige im Publikum buhen am Ende der Vorstellung, der Applaus ist eher verhalten. Reverend Billy promotet einen Film über die Church of Stop Shopping, den man auf dem Festival sehen kann, er verdient also auch Geld, das er ausgeben muss, so ist das mit dem richtigen Leben im falschen. Den meisten Zuschauern allerdings ist das wohl zu amerikanisch. Rating erzählt nach dem Auftritt, dass Reverend Billy am Vortag nach einer Performance in einer Starbucks-Filiale am Potsdamer Platz verhaftet worden sei und „Ick bin ein Berliner?“ aus dem Polizeiwagen gerufen habe. Nicht uncharmant. Ermöglicht worden übrigens ist der Auftritt mit Hilfe der amerikanischen Botschaft. Und in den USA genießt Reverend Billy den Schutz der Religionsfreiheit. Hier aber ist man solchen Performances gegenüber voreingenommen. Sie sind zu perfekt, vielleicht auch zu wenig wie wir, wir, das Publikum. Vielleicht aber ist es auch einfach nur so, dass die Vorkämpfer des alten Europa kein Englisch verstehen.