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Archiv-Artikel

Bildungsnachteil Hausfrau

Der vertiefte Pisa-Bundesländervergleich stellt reihenweise Vorurteile auf den Kopf: Noten sind Zufallstreffer, viele Haupt- und Realschüler gehören ins Gymnasium. Und das denkbar bildungsärmste Milieu schaffen – Hausfrauen. Streit um Rezepte

aus Berlin CHRISTIAN FÜLLER

Die neue Bildungsstudie Pisa, die morgen Abend offiziell in Berlin vorgestellt wird, räumt gründlich mit einem der verbreitetsten Vorurteile auf, das man sich denken kann. Die gute, alte Normalfamilie ist alles andere als ein Garant dafür, dass die Kinder besondere Bildungserfolge aufweisen. Bisher gingen das vermeintliche Alltagswissen wie die Erkenntnisse der Forschung in eine ganz andere Richtung: Die vollständige Familie, bestehend aus Vater, Mutter und – in der Regel – zwei Kindern, galt als der ideale Untergrund für Schulerfolg. Dem ist nicht so.

Die Forscher des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung haben eine handfeste Überraschung parat. Sie haben herausgefunden, dass es berufstätigen Müttern, vor allem im Osten, gelingt, ihre Kinder in hohe Schulformen und zu guten Leistungen zu bringen. Die Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zu besuchen, ist 1,5- bis 3,7-mal so hoch – im Vergleich zu Kindern, deren Mutter Hausfrau ist. Mit anderen Worten: Ein anregungsärmeres Milieu als die putzende und kochende Mami zu Hause lässt sich kaum denken. „Das bedeutet“, heißt es in dem Papier, das der taz vorliegt, „dass die Ausgangsthese von der mütterlichen Berufstätigkeit als Risikofaktor für die Entwicklung der Heranwachsenden in unseren Daten keine Bestätigung findet.“

Der Umgang mit der Pisa-Studie (Programme of International Students Assessment) war der übliche. Bereits Tage vor der offiziellen Bekanntgabe wurden Teilergebnisse der Studie bekannt gegeben – verzerrt. Die Welt und Morgenpost etwa suggerierten, dass die deutschen Pisa-Ergebnisse nur deshalb so schlecht seien, weil die Zahl der Migranten so hoch sei. „Ausländeranteil senkt das Lernniveau einer Schulklasse“, hieß es.

Der an Pisa beteiligte Wissenschaftler Manfred Prenzel wies diese Darstellung gestern zurück. Schon aus der Studie im vergangenen Sommer habe man herauslesen können, dass sich die deutsche Schule besonders schwer damit tut, Zuwanderer adäquat zu fördern, sagte Prenzel, der am Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften in Kiel forscht.

Pisa gilt als der größte Schulleistungstest, der jemals in Deutschland durchgeführt wurde. 50.000 SchülerInnen im Alter von 15 Jahren waren dazu im Jahr 2000 durch die Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) getestet worden. In der internationalen Leistungswertung war Deutschland im Wettbewerb mit 31 OECD-Industriestaaten auf dem 21. Platz gelandet.

Die Studie ergänzt nun das Bild, dass es zwischen den Schulen ein erhebliches Leistungsgefälle gibt. Auch die Lehrer machen krasse Unterschiede bei der Notenvergabe. So kann ein Gymnasiast für dieselbe Leistung in Mathematik in einem Fall eine 1 oder 2, im anderen Fall eine 4 oder gar 5 erhalten.

Ein Vergleich der bei Pisa erzielten Leistungen mit ihren tatsächlichen Noten ergab erhebliche Diskrepanzen: Am beliebigsten erweist sich nach der Tabelle die Notenvergabe an den integrierten hessischen Gesamtschulen. Die zutreffendste Übereinstimmung zwischen Test- Leistung und Note findet sie dagegen an den baden-württembergischen Realschulen.

Die Pisa-Analyse ergibt zugleich: An den baden-württembergischen und bayerischen Haupt- wie Realschulen findet sich eine nicht unerhebliche Schülerzahl, die auch gut ein Gymnasium besuchen könnte. Unter den deutschen Bundesländern kam Bayern auf Platz 1, gefolgt von Baden-Württemberg, Sachsen und Rheinland-Pfalz. Auf den letzten beiden Plätzen lagen Sachsen-Anhalt und Bremen.

Die Studie scheint den Streit um die richtige Reaktion auf Pisa zwischen Bund und Ländern erneut anzuheizen. Saarlands Kultusminister Jürgen Schreier (CDU) bekräftigte gegenüber der taz, die Unionsländer lehnten das Ganztagsangebot des Bundes über vier Milliarden Euro in der vorliegenden Form ab. „Wir lassen uns überhaupt keine Vorschriften von Bundesbildungsministerin Bulmahn machen“, sagte Schreier. Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) sagte hingegen, sie halte „eine gemeinsame Bildungspolitik für notwendiger denn je“.

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