: Der den Stummfilm vertont
Voller Zitate, Ironie und Neuer Musik: Der Bremer Musiker Ezzat Nashashibi begleitet Leinwandkunstwerke live am Klavier
Aus Bremen Wilfried Hippen
Stummfilme waren nie stumm. Wenn sie wirklich mal ohne akustische Begleitung vorgeführt werden, ist die Wirkung fatal. Auch die schönsten Meisterwerke von Chaplin, Lang oder Murnau wirken dann wie amputierte Monstren. Und das Publikum hört nur noch die eigenen Geräusche, die plötzlich peinlich laut klingen. Kaum zu ertragen
Die Musik ist bei Stummfilm-Projektionen immens wichtig. Bei restaurierten Fassungen wird sie als Tonspur auf der Filmkopie gleich mitgeliefert. Aber es wirkt immer viel eindrucksvoller, wenn sie live gespielt wird. Da reagiert dann ein Musiker zeitgleich mit dem Betrachter auf die Bilder, so dass jede Vorführung des immer gleichen Films zum Unikat wird. Deshalb kann sich das Bremer Kino 46 glücklich schätzen, für Stummfilmvorführungen (in der Regel einmal pro Monat) mit Ezzat Nashashibi einen sehr guten Hauspianisten zu haben, der zum Film auch trötet, rasselt, knallt oder planscht.
„Mickey-mousing“ nennt man dieses möglichst synchrone Verknüpfen eines optischen und akustischen Signals – etwa das Quäken einer Hupe bei einer Autofahrt.
Nach Nashashibis Erfahrungen muss der Begleitmusiker zumindest bei Slapstickfilmen den Lachern mit diesen Tricks auf die Sprünge helfen: „Weil man sie nicht direkt, sondern eher intellektuell erkennt“. Eher denkt, dass etwas witzig sei, als dass einfach losgelacht würde. Das alles entscheidende Timing der Stummfilmkomik funktioniert also erst durch die Musik.
„Und es ist auch gut, wenn das Publikum ein bisschen sehen kann, mit welchen Klanggeräten ich arbeite“, erzählt Nashashibi. Inzwischen sind es gut zehn Jahre, in denen er solche Erfahrungen sammeln konnte.
Der Sohn eines Palästinensers studierte zwar zuerst etwas „Ordentliches“ und brachte es zum 2. Staatsexamen in Medizin. Dann ging er aber von Berlin nach Bremen, weil er an der Hochschule für Künste einen Studienplatz bekam - und „examinierter Komponist“ abschloss. Auf dem ersten Anschein hat die Neue Musik, die er schreibt, kaum etwas mit der Begleitung von Stummfilmen oder der Arbeit mit den Schauspielern des Bremer Impro-Theaters zu tun. Aber wer genau hinhört, erkennt, dass „die Leute offene Ohren für schräge Klänge haben, die ihren Hörgewohnheiten nicht entsprechen“, so Nashashibi. Daher hat er etwa bei experimentellen Stummfilmen wie „Berlin, die Sinfonie einer Großstadt“ viele Elemente der Neuen Musik in seine Pianobegleitung einfließen lassen.
Bei Nashashibi ist jede Stummfilmbegleitung eine Improvisation. Es gibt zwar auch durchkomponierte Partituren für einzelne Stummfilme und eine altgediente Sammlung von Musikstücken, die traditionell bei einzelnen Stimmungen oder Situationen gespielt werden. Aber Nashashibi arbeitet anders: „Ich schaue mir den Film einmal vorher an und baue mir dabei ein grobes Raster aus Leitmotiven. Die ist mein Sicherheitsnetz, das ich benutze, wenn mir nichts einfällt. Ich entscheide erst im Moment, was ich spiele, und manchmal komme ich dabei in eine Art Trance und weiß dann gar nicht, wo die Musik herkommt.“
Nashashibi versucht auch nicht, die Illusion zu wecken, er würde etwa 1920 spielen. Deshalb spielt er auch nicht historisierend, sondern nutzt „alle heutigen Möglichkeiten musikalischen Ausdrucks“. Da wird beim „Phantom der Oper“ auch Andrew Lloyd Webber zitiert und „Yellow Submarine“ von den Beatles. Allerdings ganz düster in Moll, so dass es nicht sofort zu erkennen ist. Manchmal will er auch Filme durch seine Musik entlarven. So war es etwa bei Fritz Langs „Das Indische Grabmal“, der für ihn „vor Klischees strotzte“ – und daher „hinterhältig ironisiert“ wurde.