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Archiv-Artikel

„Weit weg von der amerikanischen Realität“

Der Hochschulforscher Peer Pasternack war Studierendensprecher für Ostdeutschland und bis zum vergangenen Jahr Berliner Wissenschaftsstaatssekretär. Das Konzept einer Eliteuni an der Humboldt-Universität sieht er scheitern

taz: Herr Pasternack, der Kanzler hat die Humboldt-Universität als eine mögliche Eliteuni vorgestellt. Hat die HU überhaupt eine Chance, das deutsche Harvard zu werden – mit den paar Millionen Euro, die sie pro Jahr mehr bekommen soll?

Peer Pasternack: Ihre Frage ist die Antwort. Natürlich nicht mit ein paar Millionen – ganz abgesehen davon, wie wünschenswert es ist, dass die HU eine Eliteuniversität in dem diskutierten Sinne wird. Es ist ja weit weg von der US-amerikanischen Realität, was da in der deutschen Debatte herumschwurbelt.

Wäre die Etablierung einer Eliteuniversität an der HU wünschenswert?

Ich kann nicht sehr viele gute Gründe erkennen – zumindest sind die Vorteile nicht so groß wie die Nachteile, die man sich damit einhandelt.

Zum Beispiel?

Eliteuniversität heißt immer auch: wenige Eliteuniversitäten und eine große Anzahl von ziemlich schlechten Universitäten – genauso, wie es in den USA eben ist. Die meisten dortigen Universitäten kennt man aus gutem Grunde nicht, weil das Niveau ziemlich schlecht ist. Die Absolventen dieser Colleges haben dann auch entsprechend schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Eliteausbildung, in welcher Form auch immer, produziert außerdem Absolventen, die dann in ihrem Berufsleben ausschließlich zur Kommunikation mit Ihresgleichen fähig sind.

Wenn der Kanzler die HU als mögliche Eliteuniversität nennt, müssen dann nicht Freie und Technische Universität zu Recht Angst bekommen, dass sie hinten runterfallen?

Dass der Kanzler die HU erwähnt, hat sicher nichts damit zu tun, dass der Bundeskanzler wüsste, dass die HU sehr gut ist. Berlin hat wie München eine Spitzenstellung als Wissenschaftsstandort in allen seriösen Rankings. Aber das liegt auch an TU und FU und den vielen außeruniversitären Instituten in der Hauptstadt und in Potsdam. Die HU hat einfach einen Standortvorteil: Sie liegt in Mitte, ist die traditionelle Berliner Universität und liegt günstig zum Kanzleramt.

Kann das Etikatt „Eliteuni“ für die HU nicht auch eine Falle sein, falls sie den Erwartungen nicht gerecht wird, vielleicht auch nicht gerecht werden kann angesichts der Geldnot.

Wenn der Maßstab Harvard ist, müssen wir wissen, was wir vergleichen: angemeldete Patente, erworbene Nobelpreise oder Erfolg der Absolventen im Berufsleben zum Beispiel. Wenn man diese Vergleiche macht, ist die HU als Eliteuni von Anfang an zum Scheitern verurteilt, weil alle befragten Experten erklären, dass die Harvard-Universität nicht durch einen Beschluss des US-Kongresses zur Eliteuniversität wurde, sondern ihr Erfolg auf einer langen Geschichte mit einer entsprechenden Förderung und einem inzwischen riesigen Kapitalstock beruht.

Müsste die HU nicht ihre Studentenzahl radikal verringern für die Eliteuni – und wohin mit den anderen Studenten?

Wenn die Bundesregierung die HU komplett übernehmen will, was sie nicht finanzieren kann, und sich dabei die Zahl der Studenten um 20.000 auf 10.000 verringerte, müsste der Bund so viel Geld zahlen, dass die 20.000 Studienplätze an anderen Berliner Hochschulen aufgestockt werden können. Das sehe ich, offen gestanden, nicht. Die rund 80.000 ausfinanzierten Studienplätze in der Hauptstadt sind aber eine politische Symbolzahl geworden, die man schlechterdings nicht unterschreiten kann, zumal Berlin eigentlich weit mehr Studienplätze benötigt.

Hieße nicht Eliteuni-Konzept, radikal Geld von Unternehmen zu sammeln? Und was würde das für die Unabhängigkeit der Unis bedeuten?

Die Frage stellt sich im Augenblick wohl nicht. Wir hatten ja gerade erst die eine grandiose Pleite bei der geplanten Wirtschaftselitehochschule im Staatsratsgebäude. Die deutsche Wirtschaft hat es noch nicht einmal vermocht, 100 Millionen Euro echtes Stiftungskapital zusammenzukratzen. Insofern droht von der deutschen Wirtschaft wohl weder Geld noch Gefahr.

Wenn Sie ein junger deutscher Student wären – an welcher Uni in Deutschland würden Sie sich immatrikulieren? Oder gar nicht in Deutschland?

Ich würde danach schauen, wo es eine gute Mischung aus Standort- und Hochschulqualität gibt. Diese gute Mischung gibt es in Leipzig, München, Hamburg, Köln – und natürlich in Berlin.

INTERVIEW: PHILIPP GESSLER