: Ferraris und verpeilte Zehnjährige
Im taz salon sprach Christian Füller mit Lehrerinnen von drei Hamburger Reformschulen über die neue Lernkultur. Fazit: wenn Kinder selbstständig lernen, kommen sie weiter als mit einem Dozenten vor der Nase
Wenn er gerade mal wieder so eine tolle Reformschule besucht habe, wisse er, wie es geht, das Neue Lernen, sagte Christian Füller, Autor von „Schlaue Kinder, schlechte Schulen“ und Bildungsredakteur der taz. Aber als er beim Klassentreffen mit alten Schulfreunden sprach, sei er ratlos gewesen. „Ein Ferrari, ein BMW und ein Trabbi zusammen, das geht nicht“, sagte einer. „Mein Sohn ist in Mathe so wahnsinnig gut, ich hab kein Bock, dass der mit jemandem zusammen lernt, der langsamer ist.“ Deshalb hatte Füller zum taz salon die Reformschullehrerinnen Natalie Ross (Max Brauer Schule), Birgit Xylander (Reformschule Winterhude) und Ulrike Barte-Rasch (Schule Beim Katharinenkirchhof) eingeladen.
Das Gespräch hatte schon fast Seminarcharakter. Knapp 100 Zuhörer folgten den Ausführungen der Reformpädagoginnen, deren Konzepte sich ähneln. Max-Brauer und Winterhude haben beide einen festen Block, in dem die Kinder kulturelles Basiswissen in Deutsch, Englisch und Mathematik erwerben. Sie teilen sich selber ihr Lerntempo ein und halten das Erreichte in einem „Logbuch“ oder „Blauen Buch“ fest, das auch Eltern und Lehrern als Kommunikationsmittel dient. Es gibt keine zentralen Klassenarbeiten. „Wenn die Kinder meinen, sie sind so weit, sagen sie mir: Ich möchte den Abschlusstest schreiben“, berichtete Natalie Ross. „Gemeinsames Lernen geht nur dann, wenn nicht alle Schüler dasselbe gleichzeitig machen müssen“, ergänzte Birgit Xylander. „Und wenn der Lehrer sich zurück nimmt und nicht vorn steht.“
Nur gelegentlich gibt es Lehrerpräsentationen für ein neues Thema, zu dem bestimmte Schüler dann verbindlich eingeladen werden. Häufig aber könnten Schüler selber „besser und anschaulicher erklären als Lehrer“. Ganz wichtig sind den Reformerinnen aber die Projektarbeit und der Wahlpflichtbereich. Reformschulen, die sich nur auf Baukästen- oder Karteikästenlernen konzentrierten, engten die Schüler zu sehr ein.
Sie habe einen „verpeilten Zehnjährigen als Sohn“, sagte eine Mutter aus dem Publikum, die sich nicht vorstellen konnte, wie der im individualisierten Unterricht zurechtkäme. „Wenn Kinder selbstständig arbeiten, entstehen diese Frustrationen gar nicht so“, sagte Ross. „Gerade in diesem System ist es möglich, diese Kinder zu fördern“, ergänzte Xylander. „Für ganz schwache Kinder haben wir Förderbänder entwickelt“, berichtete Barthe-Rasch. Sie lernten für einige Stunden in einer leistungshomogenen Gruppe, „dass heißt nicht, dass wir sie aussortieren“. KAJ