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Archiv-Artikel

Der Kreml hofft auf John McCain

Russland und die US-Wahlen: Der republikanische Präsidentschaftskandidat denkt in ähnlich überkommenen Kategorien des Kalten Krieges wie die russische Machtelite – der Demokrat Obama hingegen würde die Putin-Clique alt aussehen lassen

Mit Obama betritt ein Politikertyp die politische Bühne, der neue Prioritäten setzt

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Russlands Verhältnis zu den USA ist kompliziert, und dies nicht erst in jüngster Zeit. Immer wieder müssen die USA als Buhmann und Feindbild herhalten, deren sich der Kreml bedient, um sich seiner selbst zu vergewissern. Nur wenn Washington Russland auch genügenden Respekt zollt, befindet sich auch das Selbstwertgefühl der großen russischen Nation im Lot. Daran mangelte es aus Moskauer Sicht in der Ära George W. Bushs, der der ehemaligen Supermacht partout nicht auf gleicher Augenhöhe begegnen wollte. Die bilateralen Beziehungen sanken zuletzt erstmals seit Ende des Kalten Krieges wieder auf den Gefrierpunkt.

Jetzt, kurz vor den US-Präsidentschaftswahlen, zweifelt auch in Moskau kaum noch jemand an einem Wahlsieg des Demokraten Barack Obama. Moskaus politische Elite gibt sich gelassen. Wer auch immer ins Weiße Haus einziehe, so der offizielle Tenor, der werde sich an die üblichen Spielregeln halten. Dennoch ist hinter der Fassade Unruhe zu erkennen. Denn mit Obama betritt ein neuer Politikertyp die politische Bühne, der andere Prioritäten setzen könnte als sein republikanischer Gegenspieler. John McCain gehört einer Generation an, die von Systemkonkurrenz und Kaltem Krieg geprägt war und in ähnlichen geo- und machtpolitischen Kategorien denkt wie die Geheimdienstelite in Moskau. Obama hingegen signalisiert einen Paradigmenwechsel und die Erneuerungsfähigkeit des politischen US-Systems, das in Moskauer Lesart längst einem Fäulnisprozess anheimgefallen war.

Dies unterstrich jüngst der Leiter des Instituts „Neues Eurasien“, Andrej Kortunow, anlässlich der Präsentation der russischen Ausgabe des Obama-Buches „Hoffnung wagen“ in der Moskauer Dependance der Carnegie-Stiftung. Kortunow vermutet, dass die russisch-amerikanischen Beziehungen mit Obama größere Risiken für Moskau bergen könnten und noch weniger voraussagbar würden. „Für unsere Falken, die bei uns zu Hause die ‚souveräne Demokratie‘ predigen, wäre ein McCain daher besser.“ Es sei vor allem das messianische Auftreten Obamas, das in Russland verunsichere und ihn zu einem schwierigeren Gesprächspartner mache. McCain hingegen, einer der letzten großen Politiker des 20. Jahrhunderts, teile die Vorstellungswelten der russischen Hardliner.

Diese Sichtweise entspricht einer einflussreichen Schule der russischen Außenpolitik. Einer ihrer Vertreter, Alexander Konowalow, gab zu bedenken, dass das Verhältnis zu den USA immer dann besonders schwierig gewesen sei, wenn Demokraten regierten. Mit Republikanern sei man hingegen pragmatisch verfahren und hätte „am Ende Verträge unterschrieben“. Obama erinnere an den jungen John F. Kennedy. In dessen Amtszeit 1960–63 standen die UdSSR und die USA nach der Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba vor einem nuklearen Schlagabtausch.

In einer Umfrage des „Allrussischen Meinungsforschungsinstituts“ meinten 30 Prozent der Befragten, das gespannte Verhältnis zwischen Russland und den USA werde sich auch nach den US-Wahlen nicht ändern. 39 Prozent trauten keinem der beiden US-Kandidaten zu, die Beziehungen zu entkrampfen.

Wie stark Russland auf die USA fixiert ist, belegte eine weitere Erhebung des Lewada-Zentrums: Eine Mehrheit der Bürger war erleichtert, dass sich die USA und Russland nach dem Georgienkrieg wieder in alter Gegnerschaft befanden. Welchen Lauf die Politik in Russland und weltweit nehme, machten sie jedoch vom Ausgang der US-Wahlen abhängig. Das lässt tief blicken: Russland braucht die USA, um sich selbst zu verorten.