: Tristan und das reale Begehren
„Der zweite Tod der Oper“: Slavoj Žižek schreibt einen Richard-Wagner-Essay. Im Zentrum steht des Komponisten Überhöhung des Weiblichen
Die Begeisterung des Feuilletons hat ihre Halbwertszeiten. Selten jedoch wird die Bashing-Phase so abrupt eingeläutet wie im Falle von Slavoj Žižek. Im Merkur bedachte ihn Jörg Lau kürzlich mit einem Totalverriss: ein typischer Theorie-Narzisst sei der Slowene, verkommen und geistig verwahrlost.
Der Text riecht ein wenig nach jener Form von Intellektuellenschelte, die nicht willens ist, sich auf die Eigenheiten ihres Opfers einzulassen – auf jenes „freie Fließen der Signifikanten“, für das Žižek von seiner Gemeinde so geliebt wird. Aber das Problem mit Žižek ist, dass sich hinter dem freien Fließen ein Axiom verbirgt, das niemals als theoretisches Instrument benannt oder gar in Frage gestellt wird: jenes der Lacan’schen Psychoanalyse. Da ist eine grundsätzliche Verlogenheit in seinen Texten: Die flotten Verweisungsketten werden – teilweise recht gewaltsam – hin- und hergeschoben, von Hegel zu den Marx Brothers und zurück, letztendlich sollen sie aber in das Raster des eifrigen Lacan-Adepten passen. Davon muss man sich bei der Lektüre aber gar nicht stören lassen. Wenn man ihn etwas weniger Ernst nimmt, bleibt immer noch das Vergnügen an einprägsamen Bildern und überraschenden Kurzschlüssen.
Auf Deutsch erschienen ist nun Žižeks Wagner-Essay „Der zweite Tod der Oper“, der den Versuch unternimmt, das Musiktheater mit Lacan vor Freud zu retten. Wie gewohnt, nimmt Žižek den ein oder anderen Umweg, und er macht es dem Lacan-Unkundigen dabei nicht gerade leicht. Wen die Widersprüchlichkeit Wagners aber eher fasziniert als abstößt, für den lohnt es sich, all seinen Mut zusammenzunehmen und Žižek zu folgen auf seiner Reise, die auch diesmal die Bewegungsformen des Gewaltmarsches mit der des Hakenschlagens zu verbinden weiß.
Es geht um erstickende Dinglust, falsch verstandenen Todestrieb und ödipale Verstrickung. Kein Wunder, dass das Buch ein Beitrag zum Wagner’schen Frauenrätsel geworden ist: Wagner nahm es wichtig mit dem „Weiblichen an sich“. Es soll die Welt erlösen. So steht es in Wagners unvollendeter Schrift „Über das Weibliche im Menschlichen“, über der er seinen tödlichen Herzinfarkt erlitt.
Die fröhliche Verquickung einer Theosophie des Weiblichen mit Evolutionstheorie, Kapitalismuskritik und Rassenlehre interessiert Slavoj Žižek allerdings nicht im Mindesten. Im Grunde spricht hier ein Mythos über einen anderen: der der Psychoanalyse über den Richard Wagners. Das ist über weite Strecken keineswegs so radikal neu, wie Žižeks Schreibgestus fortwährend suggeriert. Aber spätestens dann, wenn er auf die Strukturähnlichkeit des „Tristan“ mit Tom Tykwers Film „Lola rennt“ zu sprechen kommt, verdichtet sich das Gesagte zu einprägsamen Bildern, die den Leser die späten Opern Wagners beim nächsten Mal unter Garantie anders hören lassen wird. Wer den „Tristan“ bislang als Apotheose der Liebe konsumierte, wird dies nach der Lektüre wohl nicht mehr tun können. Žižeks Beschreibung des Nachtstücks als dreifache Variation über männliche Vermeidungsstrategien vermag das romantische Pathos fast vollständig zu löschen. Dreimal führt die Oper vor, wie man das reale Begehren der Frau möglichst fern von sich hält. Wagners Welt überhöht das Weibliche, aber sie wendet dabei „das Weibliche gegen die Frau“ (Žižek). Sie ist nur ein Symptom männlicher Selbstanalyse.
Wagners Helden sind unfähig, dem phantasmagorisch Weiblichen zu entsagen, um sich der „realen“ Frau zu stellen. Eine interessante Ausnahme wird von Žižek unterschlagen: Siegmund aus der „Walküre“. Leider überwindet er die Angst vor dem Weib am falschen Objekt – seiner eigenen Schwester. Und auch über Parsifal, ohnehin ein Fall für die Genderforschung, ließe sich mehr sagen, wenn man die engen Grenzen Lacan’scher Psychoanalyse verlässt. Den Vater- und Mutterlosen muss man sich wohl vorstellen als die Erfüllung der Wagner’schen Utopie vom Manne, in dem das Weibliche waltet.
Aber Žižek ist nun ganz in seinem Element und holt erst richtig aus. Dies sei überhaupt der Schlüssel zur deutschen Kunst: die Besessenheit vom „Ewig-Weiblichen“ als dunkler Hintergrund männlicher Vernunft; und vielleicht, so mutmaßt Žižek in einem unvorsichtigen Anflug spekulativer Volkspsychologie, ja, vielleicht habe dieser typische „deutsche Mangel an Zufriedenheit“ etwas zu tun mit jener Verwirrung über den Status des Weiblichen, wie sie für die Nordeuropäer, und eben besonders die Deutschen, so charakteristisch sei. Es war ja schließlich auch unser großer Goethe, der es als Erster aussprach: „Das Unbeschreibliche, hier ist’s getan; Das Ewig Weibliche, es zieht uns hinan.“ Das Weib – der Abgrund und dessen Heilung in einem.
Wagner allerdings bewies mehr Humor, als wohl auch Žižek einem deutschen Genius zutraut, wenn er auf den eigenen „weibischen“ Kleidungsstil in Samt und Seide anspielte: „Das sanft Bestreichliche hat’s uns angetan, das angenehm Weichliche zieht man gern an.“SEBASTIAN HANDKE
Slavoj Žižek: „Der zweite Tod der Oper“. Kulturverlag Kadmos, Berlin 2003, 192 Seiten, 16,90 €