: „Die Wehrgerechtigkeit schwindet“
Der Staatsrechtler Götz Frank kritisiert die Einberufungspraxis und hofft, dass ein Gerichtsbeschluss Nachahmer findet
taz: Herr Frank, das Kölner Verwaltungsgericht hat jetzt die Einberufung eines Wehrpflichtigen verhindert, weil die Wehrgerechtigkeit nicht mehr gewährleistet sei. Wie bewerten Sie den Beschluss?
Götz Frank: Das ist eine sehr gute Entscheidung. Ohne sachlich zwingenden Grund werden 70.000 junge Männer einfach nicht mehr eingezogen, nur weil sie älter als 23 Jahre sind. Außerdem werden Wehrpflichtige mit dem Tauglichkeitsgrad T 3, das heißt „nicht voll verwendungsfähig“, nur noch ausnahmsweise einberufen. Das sind weitere 20.000 junge Männer pro Jahr …
Struck beruft sich auf das „geänderte Aufgabenprofil“ der Bundeswehr. Man benötige jetzt „unter dem gesundheitlichen Aspekt besonders geeignete Wehrpflichtige“ …
Die Wehrpflicht dient ausschließlich der Landesverteidigung. Bei Auslandseinsätzen dürfen Wehrpflichtige gegen ihren Willen nicht verwendet werden. Es ist daher fraglich, ob die neuen Aufgaben der Bundeswehr bei der Einziehung von Wehrpflichtigen überhaupt eine Rolle spielen dürfen.
Ist die Wehrgerechtigkeit politisches Ziel oder auch rechtliche Verpflichtung?
Die Wehrpflicht ist einer der gravierendsten Eingriffe, die der Staat seinen Bürgern zumutet. Deshalb ist hierbei auch der in der Verfassung verankerte Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. Es ist immer problematisch, wenn die einen dienen müssen und die anderen schon verdienen können.
Wird der Streit am Ende in Karlsruhe entschieden?
Das Kölner Gericht wirft der Bundeswehr vor, dass sie das Wehrpflichtgesetz falsch anwendet. Falls alle anderen Gerichte dem folgen, muss Karlsruhe nicht eingreifen. Außerdem würde ich auch nicht auf das Bundesverfassungsgericht setzen, wenn es um die Wehrpflicht geht.
Warum?
Karlsruhe hat vor knapp zwei Jahren dem Bundestag weitgehend freie Hand bei der Frage eingeräumt, ob er die Wehrpflicht beibehalten will oder nicht. Das Problem der schwindenden Wehrgerechtigkeit wurde dabei nicht einmal angesprochen. INTERVIEW: CHRISTIAN RATH